Proteste in Iran:Der zähe Niedergang

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Ja zur Freiheit, Nein zur Revolution: Viele Iraner scheuen das Engagement in der Opposition. Deren Chancen sind trotzdem gut - auch, weil das Regime einen schweren Fehler gemacht hat.

Rudolph Chimelli

Auch wenn in den Straßen Teherans noch mehr Blut fließt, so schnell wird das Regime nicht fallen. Breite und mächtige Schichten sind an seinem Bestand interessiert: das Millionenheer der kleinen Pfründner, dem die prügelnden Bassidsch-Milizionäre entstammen, die Revolutionsgarden, denen mittlerweile große Bereiche des Staates und der Wirtschaft gehören.

Schiitische Frauen vor einer Moschee: Viele wollen mehr Freiheit, scheuen aber davor zurück, sich in der Opposition zu engagieren. (Foto: Foto: AFP)

Sie alle haben Macht und wirtschaftliche Privilegien zu verteidigen und werden diese nicht preisgeben, bloß weil dauernde Unruhen es immer offensichtlicher machen, dass sie die Legitimität und die Beliebtheit beim Volk verloren haben.

Der Protestbewegung fehlen außerdem eine Organisation sowie eine Führung, die von allen anerkannt wird: von kritischen Klerikern wie von den vielen, die sich einen anderen Staat wünschen. Kein Schattenkabinett stünde bereit, das wie in einer Demokratie morgen mit einem fertigen Regierungsprogramm die Macht übernehmen könnte.

Die Furcht vor Chaos und Anarchie, vor nationalem Zerfall hält viele Iraner davon ab, sich mit voller Kraft bei der Opposition zu engagieren. Sie wollen Freiheit und ein besseres Leben, aber überwiegend keine neue Revolution. Stattdessen ist nun ein Abnutzungskrieg in Gang gekommen, der lange dauern dürfte, bei dem aber die Regierung auf Dauer die schlechteren Chancen hat.

Die jetzige Protestbewegung hat mit der islamischen Revolution von 1978/79 gemeinsam, dass sie sich an den Gedenktagen für ihre Märtyrer spätestens alle vierzig Tage neu entzündet. Durch die blutige Niederschlagung einer Demonstration ist die nächste programmiert. Dass das Regime sich an Aschura, dem höchsten schiitischen Trauertag, zur Gewalt entschloss, dürfte sich als schwerer Fehler erweisen.

Sieg der nationalen Idee

Zu keinem anderen Augenblick im Jahr sind die Gefühle der Gläubigen so aufgewühlt und so verletzbar wie beim Gedenken an den Tod des Prophetenenkels Hussein, der im Kampf gegen unrechtmäßige Herrschaft fiel. Die Entfremdung zwischen Machthabern und Regierten ist seit Sonntag erheblich größer.

Die Proteste von heute haben viel mehr Ähnlichkeit mit der Verfassungsbewegung von 1906 als mit der Islamischen Revolution. Auch damals gab es keinen Führer, aber eine tragende Idee für die Mehrheit: Sie einte der Glaube an den nationalen Widerstand gegen die schleichende Kolonialisierung und ihren Vollstrecker, eine korrupte Monarchie.

Die nationale Idee siegte, obgleich sie nicht über moderne Kommunikationsmittel verfügte. Jetzt haben die Iraner 50 Millionen Mobiltelefone, 25 Millionen Internetanschlüsse, und außer einigen ganz Alten können alle lesen und schreiben. Die Karten zwischen Obrigkeit und Volk sind anders verteilt als früher.

Von Präsident Mahmud Ahmadinedschad, dem schwarzen Mann für das internationale Ansehen Irans, ist in diesem Kontext kaum die Rede. Seine Wiederwahl hatte die Proteste im Sommer entfacht. Gegen sein Regiment richteten die grüne Bewegung sowie die unterlegenen Kandidaten Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi ihren Widerstand.

Chamenei: Zielscheibe des Hasses

Der dissidente Groß-Ayatollah Hussein Ali Montaseri, dessen Beisetzung vor einer Woche zum Katalysator der jüngsten Explosion wurde, hatte Ahmadinedschads Regierung für ungesetzlich erklärt.

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Die Opposition nutzt das schiitische Aschura-Fest und mobilisiert wieder Tausende Iraner. Doch die staatlichen Sicherheitskräfte schlagen mit aller Brutalität zu.

Niemand hingegen hätte bis vor ganz kurzer Zeit die Position des Geistlichen Führers Ali Chamenei öffentlich in Frage gestellt. Am Sonntag war er die Zielscheibe des Hasses in den Straßen Teherans. Seine Bilder wurden abgerissen. Dass nun konsequente Gegner des Regimes in seiner Person den Hauptfeind sehen, ist das entscheidend Neue der Situation.

Demonstranten verglichen ihn mit jenem sunnitischen Kalifen Jasid, der vor 1300 Jahren den Prophetenenkel bei Kerbela hinmetzeln ließ. "Jasid wird stürzen", rief die Menge in Sprechchören und meinten damit Chamenei. "Wo steht im Koran, dass Gefangene sexuell missbraucht werden dürfen?" fragten sie.

Für wen kann Chamenei mit seiner Herrschaft noch die Staatsidee des gerecht regierenden Islam verkörpern? Nicht für die hohen Würdenträger der Schia, die von ihm immer eine geringe Meinung hatten. Sehr viel weniger für viele naiv Fromme, in deren Augen ihn sein schwarzer Turban bisher unangreifbar machte, obwohl sie selber unter bitterer Armut, Arbeitslosigkeit und Geldentwertung leiden.

Lösung in der Außenpolitik?

Außenpolitik spielte beim Zwist unter den Iranern keine Rolle, weder die Drohungen mit Sanktionen noch der Dauerstreit um das Atom. Sachkundige, die ihr Land in die Weltwirtschaft integriert sehen wollen, waren immer unglücklich über Irans Isolierung.

Aber geschmeidig suchten sie Wege zur Lösung ihrer Probleme jenseits des Persischen Golfs, nicht die Konfrontation mit den Bürokratien Chameneis, der Pasdaran oder des Präsidenten.

Als Ahmadinedschad im Herbst versuchte, den Atomstreit durch den in Genf erzielten Kompromiss mit Überstellung des iranischen Urans zur weiteren Anreicherung im Ausland zu regeln, gehörte Mussawi zu den Kritikern, die ihm lautstark Ausverkauf der nationalen Interessen vorwarfen. Ein klares Konzept zur Lösung der akuten Staatskrise fehlt auf beiden Seiten.

© SZ vom 29.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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