Proteste in arabischen Ländern:Brot statt Bomben

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Arabische Herrscher begegnen der Unzufriedenheit ihrer Bürger zu oft mit Sorglosigkeit. Doch der Protest eines jungen Tunesiers entfachte eine Dynamik, die sogar die engstirnigsten Despoten der Region nicht mehr ignorieren können.

Janek Schmidt

Den Umgang mit Katastrophen lernen Menschen im Nahen Osten mit Hilfe einer arabischen Lebensweisheit: "Vielleicht ist es heute ein Feuer", beginnt der Sinnspruch, um dann zu beruhigen, "aber morgen wird es schon Asche sein." Mit dieser Haltung, die eine gewisse Sorglosigkeit in sich birgt, begegneten viele arabische Herrscher lange Zeit der Unzufriedenheit ihrer Bürger - bis zum 17. Dezember 2010.

Die Unruhe bei den Regierungen der Arabischen Liga wächst: Denn seit Mitte Dezember eskaliert nicht nur die Gewalt im sonst eher ruhigen Tunesien. (Foto: AFP)

An jenem Tag übergoss sich der tunesische Universitätsabsolvent Mohammed Bouazizi mit Benzin und zündete sich aus Verzweiflung über seine Arbeitslosigkeit an. Der 26-Jährige starb an seinen Verbrennungen, und sein Protest entfachte eine Dynamik, die sogar die engstirnigsten Despoten der Region nun nicht mehr ignorieren können.

Seither wächst die Unruhe bei den Regierungen der 21 Staaten, die in der Arabischen Liga vereint sind - und das zu Recht. Denn seit Mitte Dezember eskaliert nicht nur die Gewalt im sonst eher ruhigen Tunesien. Dort konnten selbst der heftige Einsatz des Militärs und das Versprechen von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali zur Schaffung von 300.000 Arbeitsplätzen den Aufruhr bislang nicht stoppen. Vielmehr weiteten sich die Proteste gegen Arbeitslosigkeit und hohe Nahrungsmittelpreise in dieser Woche auch auf das Nachbarland Algerien aus, während in Tunesien, Augenzeugen zufolge, in der Nacht zum Donnerstag erneut acht Menschen starben.

Vor allem wirft die Gewalt in den Mittelmeerstaaten ein alarmierendes Schlaglicht auf Proteste in anderen arabischen Ländern. So ist die Lage in Kuwait weiterhin angespannt, nachdem dort im Dezember ein Juraprofessor von Polizisten zusammengeschlagen wurde. Selbst im wohlstandsgesättigten Saudi-Arabien demonstrierten am vergangenen Wochenende 250 ausgebildete Lehrer wegen ihrer schlechten beruflichen Aussichten. Und in der südjordanischen Stadt Maan zündeten unlängst mehrere hundert Demonstranten nach dem Mord an drei Arbeitern Regierungsgebäude an. Am Mittwoch kündigte dann die islamistische Opposition an, dass auch sie geplante Demonstrationen unterstützen werde.

Inzwischen warnen sogar besonnene, einflussreiche arabische Kolumnisten wie Abd al-Rahman al-Raschid, dass die Demonstranten nicht nur Fensterscheiben in verschiedenen Ländern, sondern auch eine psychologische Barriere gegen Proteste eingeschlagen haben. Die Folge, so befürchten sie, könnte eine arabische Form der Domino-Theorie sein: Plötzlich sind auch bislang stabile Regierungen von inneren Unruhen und damit vom Sturz bedroht.

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Die Demonstranten haben ihr Ziel erreicht: Tunesiens Präsident Ben Ali ist zurückgetreten und erfüllt so die Forderung von der Straße. In Bildern

Doch diese Entwicklung birgt auch Chancen. Sie könnte die Regime zwingen, sich mit den strukturellen Problemen in ihren Ländern zu befassen. So hat sich in den vergangenen 30 Jahren die Bevölkerung in der Region von 180 Millionen auf 360 Millionen Menschen verdoppelt. Bis 2030 kommen voraussichtlich weitere 150 Millionen Menschen hinzu, die alle eine Wohnung, Nahrung und Arbeit benötigen. Dennoch verlassen sich die meisten Regierungen auf Einnahmen aus ihren Rohstoffvorkommen. Davon aber profitieren nur wenige Menschen mit Kontakten zur Regierung.

Zugleich kränkeln gerade jene Wirtschaftszweige, die Arbeitsplätze schaffen könnten. So exportiert etwa die verarbeitende Industrie in der gesamten arabischen Welt weniger Güter als die israelische. Gleichzeitig sind die Bemühungen, vom Ausland zu lernen, so gering, dass alle arabischen Staaten jährlich fünfmal weniger Bücher in ihre Sprache übersetzen lassen als etwa Griechenland. Aus dieser Misere erklärt sich, warum das stärkste Symbol der tunesischen Proteste nicht etwa Steine oder Stöcke waren, sondern Brotlaibe, die für die Sorge standen: "Wo bekommen wir unser Essen her?"

Brot für alle und Stellen für die arbeitslosen Jugendlichen - das sind die Probleme, mit denen sich diese Regierungen befassen müssen. Denn die Proteste zeichnen sich vielerorts durch hohe Gewaltbereitschaft aus, was zeigt, wie groß der Frust der jungen Leute ist. Und dennoch besteht Anlass zu Hoffnung: Anders als bei früheren Protestbewegungen, die oft von ausländischen Geheimdiensten befeuert wurden, gibt es in Tunesien und Algerien sowie in Kuwait oder Jordanien keine Hinweise auf Scharfmacher im Auftrag fremder Staaten.

Ebenfalls im Gegensatz etwa zu den antisyrischen Protesten 2005 im Libanon, die manche Beobachter bereits als Arabischen Frühling feierten, richten sich die jüngsten Demonstrationen nicht gegen ausländische Regierungen. Das erhöht die Notwendigkeit, dass arabische Staatschefs diesmal auf die Sorgen ihrer Bürger eingehen.

Dabei sind die nötigen Reformen klar und von arabischen Wissenschaftlern in Entwicklungsberichten der UN aufgezählt: Staatseinnahmen dürfen nicht länger zur Korrumpierung von Kritikern dienen, sondern müssen zum Ausbau von Schulen, Krankenhäusern und Straßen eingesetzt werden. Zudem muss ein Arbeitsmarkt geschaffen werden, auf dem Qualifikation mehr zählt als Beziehungen. Wenn arabische Herrscher diese Schritte verpassen, könnten sie eines Tages feststellen, dass die Menschen mit loderndem Frust ihre Staaten in Schutt und Asche gelegt haben.

© SZ vom 14.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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