Proteste gegen Militärrats-Chef Tantawi:Ägyptens neue Hassfigur

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Eigentlich lieben die Ägypter ihre Armee, doch der Chef des Militärrats weckt Furcht und Hass. Mohammed Hussein Tantawi wirkt nicht wie ein selbstloser Hüter der Nation in schweren Zeiten, sondern liebäugelt mit der Macht. Er könnte genauso stürzen wie sein ehemaliger Kamerad Mubarak.

Tomas Avenarius

Offenbar nutzt Ägyptens Militärchef Mohammed Hussein Tantawi den Redenschreiber des späten Hosni Mubarak. Die Ansprache, mit welcher der Feldmarschall sich nun ans Volk gewandt hat, löste auf dem Tahrir-Platz jedenfalls gleichlautende Reaktionen aus wie die misslungenen Reden des Ex-Präsidenten vor dessen Entmachtung im Februar. Die Menge rief: hau ab!

Machtversessener Militärchef: Mohamed Hossein Tantawi. (Foto: AP)

Und einer fügte mit Witz hinzu: "Die Frage ist, wann kommt Tantawis zweite Rede, wann die dritte?" Zur Erinnerung: Der strauchelnde Mubarak hatte mit drei uneinsichtigen Auftritten versucht, die rebellischen Menschen auf dem Tahrir zu beruhigen. Nach der dritten Rede wurde der Staatschef gestürzt, vom Feldmarschall und seinen Generälen.

Tantawis Rede am Dienstagabend war, trotz Zugeständnissen - wie der vorgezogenen Präsidentenwahl - den Protestierenden gegenüber unversöhnlich. Offen ist, wie der TV-Auftritt des 78 Jahre alten Chefs des Militärrats abseits des Tahrir-Platzes wirkte. Sein Vorschlag, das Volk könne ja per Referendum über den geforderten Rückzug der Armee in die Kasernen entscheiden, zeigt Vertrauen in die breite Masse.

Möglicherweise ist dies berechtigt, schließlich gibt es das Schlagwort einer ewigen Allianz zwischen Volk und Truppe. Und auf dem Tahrir stehen Tantawis Gegner, während die anderen zu Hause bleiben. Auf die Schweigsamen zielte der Offizier ab, nicht auf die protestierende Menge.

Die Ägypter lieben ihre Armee und ihre Offiziere. Derzeit sind aber viele schlecht zu sprechen auf die Streitkräfte. Wegen der Gewaltorgie gegen Demonstranten und Steinewerfer. Und weil Tantawi den Eindruck erweckt, nicht selbstloser Hüter der Nation in schweren Zeiten zu sein, sondern mit der Macht zu liebäugeln. Seine Winkelzüge sind Legion, sein Bad in der Menge als "Zivilist" im Anzug hat eher Ängste geschürt.

Der Infanterie-Offizier, geboren in Tanta im Nildelta, ist nubischer Abstammung. Er kämpfte in allen Kriegen gegen Israel, wurde Oberbefehlshaber. Es folgen 20 Jahre als Mubaraks Verteidigungsminister; Tantawi war der Zweitmächtigste im Staat. US-Diplomaten verlachten ihn laut Wikileaks als "Mubaraks Pudel", der sein Alter nicht verbergen könne.

Der Muslim Tantawi ist ein säkular geprägter Offizier der Nasser-Zeit: Die Armee ist heilig, das Staatsverständnis autoritär, das Misstrauen gegenüber Islamisten instinktiv. Damit ist er wenig geeignet für das, was er garantieren soll: den Umbau des Mubarak-Staates. In dem liegt die alte Autorität in Scherben, kämpfen Islamisten, Liberale sowie Anhänger des alten Systems um die Macht.

Der Hass, den der protestierende Teil der Nation auf den Militärrat spürt, richtet sich automatisch gegen dessen Chef. Wenn die Generäle dem Volk die Revolution wirklich gestohlen haben, wäre der Oberste General auch der Erste, der weichen müsste, um den Druck zu mildern. Jüngere im Militärrat denken darüber möglicherweise nach. Sie hören, was die Tahrir-Demonstranten skandieren: "Wir wollen den Sturz des Feldmarschalls." So könnte der Militärchef zum Königsopfer werden - wie es Mubarak geschah, durch seinen Ex-Kameraden Hussein Tantawi.

© SZ vom 24.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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