Profil:Thomas Mühlbauer

Lesezeit: 2 min

(Foto: Christiane Schlötzer)

Der Buchhändler spürt am Bosporus dem deutsch-türkischen Klima nach.

Von Christiane Schlötzer

Sein Vater wollte eigentlich nach Persien, so nannten sie damals das Land, in dem der Schah regierte. Dann blieb der Österreicher Franz Mühlbauer, den sie mit 15 noch in den Krieg geschickt hatten, auf der Reise in ein neues Leben in Istanbul hängen. Hier traf er eine junge Deutsche, gründete eine Familie und eine deutsche Buchhandlung. 1955 war das, ein Horrorjahr. Es zogen prügelnde Horden durch Istanbul, sie plünderten die Geschäfte der Griechen und auch ein deutsches Kaufhaus. Ob Franz Mühlbauer sich vor dem aufgehetzten Mob fürchtete, weiß sein Sohn Thomas nicht. "Die Generation meines Vaters hat sehr wenig von ihrer eigenen Geschichte erzählt", sagt er.

Thomas Mühlbauer wurde in Istanbul geboren, er ist 51, die Buchhandlung hat er 1992 gemeinsam mit seinem älteren Bruder übernommen, nachdem der Vater gestorben war. Gut ein Vierteljahrhundert ist das her. Mühlbauer sagt, er habe seitdem "nie Nachteile" erlebt, weil er Deutscher ist. Sein Geschäft liegt an der bekanntesten Einkaufs- und Ausgehmeile der Stadt, der İstiklal, "wie auf dem Präsentierteller", sagt Mühlbauer. Er hat vom frühen Morgen an bis spät in die Nacht geöffnet, jeden Tag. Die einzige Sicherheitsmaßnahme sind Kameras, die Diebe abschrecken sollen. Das Angebot ist reichhaltig, die Regale sind bis zur Decke gefüllt mit deutscher Literatur und so gut wie allen deutschen Übersetzungen türkischer Werke.

Nun waren die deutsch-türkischen Beziehungen in der jüngeren Vergangenheit alles andere als entspannt. Erst vor wenigen Wochen hat so etwas wie eine vorsichtige Wiederannäherung eingesetzt. Mühlbauer hat die Eiszeit gespürt, sein Laden ist so etwas wie eine Wetterstation, die das deutsch-türkische Klima misst. Es kamen kaum noch Touristen, Deutsche haben die Stadt verlassen. Mühlbauer sagt, "von einem Türkei-Boykott habe ich nie etwas gehalten", der treffe alle, auch die, die den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht gewählt hätten. Um seinen Laden geht es ihm dabei gar nicht, "von den Touristen könnte ich nie leben." Sein eigentliches Geschäft sind Schulbücher, damit hat schon der Vater begonnen. Die deutsche Schule ist nah, das Goethe-Institut auch. Die Lehrer dort kommen mit den Kursen kaum nach, weil viele türkische Akademiker das Land verlassen wollen. Vorher lernen sie Deutsch.

Vor drei Jahren hat Thomas Mühlbauer zwischen die Regale Kaffeehaustische gestellt, es gibt Bienenstich und Apfelkuchen, gerade hängt die Weihnachts- und Silvesterdeko. Türkische Studenten lieben den Ort. "Ohne das Café ginge es nicht mehr", sagt Mühlbauer. Die Wirtschaftskrise trifft auch ihn. "Da habe ich schon schlaflose Nächte."

An einer freien Wand steht in Großbuchstaben: "Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune." Das ist von Goethe und kann als aktueller Kommentar zur politischen Lage gelesen werden. Mit seinen türkischen Freunden vermeide er drei Themen, sagt Mühlbauer: Religion, Politik und Fußball. "Da kannst du sowieso niemanden überzeugen." Hinter seinem Schreibtisch hat Mühlbauer eine Art Schrein errichtet mit Familienfotos, Borussia-Mönchengladbach-Utensilien, einem Fanschal aus türkischer und deutscher Fahne. "Ich suche stets das Verbindende", sagt Mühlbauer. Er hofft, das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei werde sich 2019 verbessern. "Es hat doch fast jeder Türke einen Verwandten in Deutschland."

Als Kind lebte er mit der Familie über dem Laden, bis sich die Eltern trennten und er mit der Mutter nach Deutschland ging. Er lernte Straßenbauer, war bei der Bundeswehr. Bis heute hat er einen deutschen Pass, "auch wenn ich mich als halber Türke fühle". Er wollte gerade ein Ingenieurstudium beginnen, als der Vater starb. Hat der deutsche Buchhändler vom Bosporus die Rückkehr nach Istanbul je bereut? "Nein", sagt er, ohne eine Sekunde zu zögern.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: