Profil:Tedros Adhanom Ghebreyesus

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(Foto: Reuters)

Aufklärer der Welt in Sachen Corona-Pandemie.

Von Clara Lipkowski

Warnen, aber Panikmache vermeiden - nach diesem Prinzip informiert in diesen Tagen der oberste Pandemie-Aufklärer Tedros Adhanom Ghebreyesus. Laufend verkündet der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestiegene Zahlen von Covid-19-Infizierten. Immer wieder muss er die Zahl der Toten durch das Virus nach oben korrigieren. Staatschefs wollen seine Einschätzung, wie sie die Bevölkerung schützen sollen, Journalisten, welche Hiobsbotschaften tatsächlich stimmen, auch der Weltfußballverband Fifa sucht um Rat nach.

Der Immunologe und fünffache Vater eilt täglich zu Sitzungen seines Krisenstabs. Auf Twitter wirbt er lächelnd dafür, aufs Händeschütteln zu verzichten und stattdessen lieber die Hand "aufs Herz" zu legen. Er stellt sich am liebsten mit seinem Vornamen vor: "Nennt mich einfach Tedros." Von den meisten wird er aber dann zumindest "Dr. Tedros" genannt. Ghebreyesus gilt als beharrlich, aber diplomatisch, ruft zu Zusammenhalt und Besonnenheit auf. Doch schon länger wird dem 55-Jährigen vorgeworfen, dass er selbst eine besonnene Haltung vermissen lasse.

Nur zögerlich stufte der Äthiopier die rasche Verbreitung der Lungenkrankheit von einer Epidemie zu einer Pandemie herauf. Erst Ende Januar rief er einen globalen Gesundheitsnotstand aus - zu spät, wie ihm die Autoren einer Online-Petition vorwerfen. Darin fordern knapp 500 000 Menschen seine Absetzung, weil er dem Ansehen der WHO schade. Wütende Reaktionen gab es auch, weil er den Umgang Chinas mit dem Coronavirus gelobt hatte. Eine Delegation von Gesundheitsexperten unter Leitung der WHO war Ende Februar in das heftig vom Virus getroffene Land gereist und mit der Erkenntnis zurückgekehrt, dass die Behörden massiv Personal aufgestockt und Metropolen abgeschottet hätten, weshalb die Fallzahlen zurückgingen. Der Widerspruch kam prompt: Die WHO sei der chinesischen Propaganda aufgesessen - oder stelle China bewusst positiv dar.

Ghebreyesus ist in einer Zwickmühle. Viele Menschen trauen den Zahlen der Regierung in Peking nicht. Doch die WHO will China nicht durch harte Kritik verprellen, ist auf Zusammenarbeit angewiesen, um über die Pandemie informieren zu können. Zuletzt sparte der WHO-Chef auch nicht mit Kritik. Die internationale Staatengemeinschaft reagiere viel zu locker auf Corona: "Findet, isoliert, testet und behandelt jeden Fall und geht jeder Spur nach", forderte er.

Ghebreyesus wurde 1965 in Asmara geboren, als die Stadt noch unter äthiopischer Kontrolle stand, heute ist sie die Hauptstadt Eritreas. Journalisten erzählt er oft die Geschichte seines Bruders, der im Kindesalter starb, wahrscheinlich an Masern, einer Krankheit, die der Mensch eigentlich längst im Griff hatte. Doch seinem Bruder fehlte der Zugang zu medizinischer Versorgung. Diesen Missstand, so Ghebreyesus, wollte er nicht akzeptieren. Er studierte Biologie in Asmara, dann Immunologie in Großbritannien, wo er auch zum Gesundheitswesen promovierte. Danach kehrte Ghebreyesus zurück, wurde äthiopischer Gesundheits-, dann Außenminister in Addis Abeba, gehörte der Regierung mehr als zehn Jahre an. Er erreichte, dass 3500 Gesundheitszentren in Äthiopien gebaut und Tausende ärztliche Helfer in der ländlichen Region ausgebildet wurden. Das wurde ihm hoch angerechnet, und er galt als Charismatiker im Amt. Doch er soll auch die Cholera-Epidemie vertuscht und den Tod von Infizierten in Kauf genommen haben.

2017 verließ er Politik und Heimat für den WHO-Posten in Genf. Er begann, die träge und klamme Organisation zu reformieren, machte Frauen zu Führungskräften. Ghebreyesus trat mit dem Vorhaben an, dass Gesundheit für jeden, egal ob arm oder reich, bezahlbar werden müsse. Nun aber bekämpft die WHO erst einmal eine Pandemie, Dr. Tedros' Reformen müssen warten.

© SZ vom 18.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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