Profil:Siya Kolisi

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Rugby-Weltmeister und neuer Held Südafrikas.

Von Bernd Dörries

(Foto: Aaron Favila/AP Photo)

Als Siya Kolisi seine Mannschaft zum Sieg geführt hatte, bedankte er sich für die Unterstützung. Nicht bei den Sponsoren, nicht beim Trainer und auch nicht beim Staatspräsidenten, der extra nach Japan gekommen war für das Finale der Rugby-Weltmeisterschaft. Er dachte stattdessen an die, an die sonst zu wenig gedacht wird in Südafrika: "Wir bedanken uns bei den Leuten in den Tavernen, den Shebeens, den Farmen, bei den Obdachlosen und den Menschen auf dem Land." Er bedankte sich bei der Mehrheit der Südafrikaner.

Vor zwölf Jahren, als Südafrika das bisher letzte Mal die Weltmeisterschaft gewonnen hatte, stand Kolisi, auch in einer Shebeen, in einer jener Bars in den Townships, zusammengezimmert aus Wellblech, mit einem Fernseher an der Wand. Ob er damals davon geträumt habe, selbst mal die Rugby-WM zu gewinnen? Zum Träumen, sagte Kolisi, habe die Zeit gefehlt: Die Mutter hatte ihn als Teenagerin bekommen, der Vater war wie so oft eher abwesend, er wuchs bei der Großmutter auf, die in seinen Armen starb, als er zwölf war. Wenn er von etwas träumte, dann von einem Essen am Abend. Rugby spielte er mit einem Ziegelstein.

Es sah nicht unbedingt danach aus, als könnte Kolisi, 28, einmal der Held von Millionen Südafrikaner werden und zum ersten schwarzen Kapitän der Nationalmannschaft ernannt werden. In seinem Land ist Rugby zwar mehr eine Religion als ein Sport, aber dieser Sport war lange der weißen Elite vorbehalten, während der Apartheid war es Schwarzen nicht gestattet, in der Nationalmannschaft zu spielen.

Genau 25 Jahre nach den ersten freien Wahlen in Südafrika gewann Kolisi nun die Weltmeisterschaft. Es war ein Sieg, auf den das Land sehnsüchtig gewartet hatte, ein Zeichen der Hoffnung in einer eher tristen Gegenwart: Die Arbeitslosigkeit steigt, der regierende ANC ist zu einer korrupten Clique verkommen - die Hoffnungen von Millionen vor allem schwarzen Südafrikanern auf ein besseres Leben haben sich nur bedingt erfüllt.

In den letzten Jahren hat sich ein Gefühl der Stagnation breitgemacht, Schwarz und Weiß schienen sich eher dessen bewusst zu werden, was sie trennt, als dessen, was sie vereint. Auch die Berufung von Kolisi zum Kapitän wurde von manchen weißen Fans als eine Art Quotenentscheidung abgetan. An alle jene Skeptiker wandte sich Kolisi gleich nach dem Spiel: "Wir haben so viele Probleme in unserem Land - und ein Team wie dieses. Wir kommen aus verschiedenen Lebenswelten, haben verschiedene Hautfarben - aber uns vereint ein Ziel, das wir erreichen wollten. Wir lieben Südafrika und können alles erreichen, wenn wir zusammenarbeiten."

Vor den Fernsehern im Land hatten viele Tränen in den Augen und erinnerten sich an die Worte von Nelson Mandela, der dem Sport die Kraft attestiert hatte, die Welt zu verändern und die Menschen zu vereinen. So war es 1995 kurz nach Ende der Apartheid, als sich Mandela das grüne Trikot überstreifte und Südafrika schon einmal die Rugby-WM gewann.

Nach so einem Erfolg sah es beim Turnier in Japan erst einmal nicht aus. Südafrika hatte gegen Neuseeland recht deutlich verloren, noch nie hatte ein Team nach einer Niederlage in der Gruppenphase den Titel geholt. Kapitän Kolisi und Trainer Rassie Erasmus machten aus einem Sportereignis eine politisch-gesellschaftliche Tat: Man habe über den Druck gesprochen, der auf den Spielern laste, erzählte das Führungsduo, und ihnen erklärt, dass wahrer Druck im Leben und besonders in Südafrika etwas anderes sei: wenn man den Job verliere oder ein Verwandter umgebracht werde.

"Rugby sollte nicht etwas sein, das dich unter Druck setzt", sagte Trainer Erasmus, "Rugby sollte Hoffnung stiften, das ist unsere Verantwortung." Sein Kapitän Siya Kolisi wurde der Verantwortung gerecht und schaffte es nach dem Spiel mit wenigen Sätzen, Südafrika zum Träumen zu bringen.

© SZ vom 04.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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