Profil:Shermin Langhoff

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(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Politische Theatermacherin in Berlin und Mitglied der Initiative "der Vielen".

Von Verena Mayer

Wer im deutschen Kulturbetrieb auf der Suche nach einer herausstechenden Figur ist, landet schnell bei Shermin Langhoff. Die 49-Jährige ist nicht nur eine von wenigen Frauen, die ein Stadttheater leiten, das Berliner Gorki-Theater; sie ist auch die erste Frau mit türkischen Wurzeln in einer solchen Position. Geboren als Şermin Özel kam sie Ende der Siebzigerjahre nach Deutschland, ihre Mutter war Gastarbeiterin bei der AEG in Nürnberg.

Mit einer solchen Biografie gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder verdrängt man sie und kümmert sich darum, ein Theater zu leiten und vor allem vollzubekommen. Oder man macht das eigene Leben zum Standpunkt, auf die Gefahr hin, dass man bei jeder Gelegenheit darauf festgenagelt wird. Langhoff hat einen dritten Weg gefunden. Sie hat den Begriff des "Postmigrantischen" am Theater etabliert, also die Tatsache, dass Migration in der modernen Gesellschaft etwas Alltägliches ist.

Gerade ist Langhoff wieder in den Schlagzeilen, als Vertreterin einer der 150 Kulturinstitutionen und Verbände, die sich bundesweit zur "Berliner Erklärung der Vielen" zusammengeschlossen haben. Die Kampagne richtet sich gegen eine Wiederkehr reaktionären Denkens und dagegen, dass immer öfter die Freiheit der Kunst infrage gestellt werde. Indem etwa die AfD gezielt gegen Kulturinstitutionen polemisiert oder versucht, Subventionen für kritische Künstler zu verhindern.

Shermin Langhoffs Theater bildet eine Art Gegenthese zu solchem Denken: Sie hat Leute mit ähnlichen Biografien wie der ihren als Schauspieler, Autoren oder Regisseure geholt und lässt Stoffe aufführen, die den Alltag zwischen den Welten thematisieren, ob das Flüchtlinge sind, muslimische Jugendliche oder Israelis in Berlin. So hat sie nicht nur eine Bühne geschaffen, die ein Berliner Lebensgefühl abbildet und bedient, eine Art multikulturelles Volkstheater. Sie ist damit auch höchst erfolgreich. Das Gorki-Theater ist international bekannt, 2016 wurde es von Theaterkritikern zum "Theater des Jahres" gewählt.

Dabei könnte es Shermin Langhoff eigentlich belassen. Doch sie gehört zu den Kunstschaffenden, die sich gerne in Debatten mischen. Langhoff schreibt Texte und Statements, gibt Interviews, in denen sie sich quasi tagesaktuell zu Wort meldet. Sie hat eine hastige, fast atemlose Art zu reden, so, als könne sie gar nicht so schnell formulieren, wie ihr die Gedanken durch den Kopf schießen. Langhoff hat sich zur Flüchtlingskrise geäußert, zum Tag der Deutschen Einheit, zur "Me Too"-Debatte.

Die Frage, wie politisch Kunst sein darf oder muss, ist vermutlich so alt wie die Politik. Für Shermin Langhoff ist es die ureigenste Aufgabe von Künstlern, die Mächtigen zu kritisieren. "Ich bin nicht umsonst am Theater gelandet und nicht in der Politik", sagte sie in einem Interview. Sie öffnet das Gorki-Theater für türkische Exilanten und bringt Stücke, die unter Erdoğan verboten wurden. Als Jugendliche sei sie unter geflohenen türkischen Intellektuellen aufgewachsen, erzählte sie einmal, das habe sie politisiert. Zum Theater fand Langhoff, die mit dem Regisseur Lukas Langhoff eine erwachsene Tochter hat, relativ spät, sie kommt ursprünglich aus der Film- und Fernsehbranche.

Wenn Künstler sich politisch äußern, wirkt das mitunter wohlfeil. "Preaching to the choir" heißt es im Englischen; man predigt zu denen, die sowieso hinter einem stehen. Die Geschwindigkeit, mit der man heute Bündnisse und Kampagnen startet, hat zugenommen. Kaum verlangten Kulturschaffende per Petition den Rücktritt Seehofers, kam schon der Aufruf zur "Unteilbar"-Demo, die Intervalle zwischen den Aufschreien werden kürzer. Shermin Langhoff setzte in der Pressekonferenz der "Berliner Erklärung der Vielen" ein Zeichen. Sie nutzte ihre Redezeit für eine Minute der Stille. Weil es dort, wo alle schreien, oft am wirkungsvollsten ist zu schweigen.

© SZ vom 14.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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