Profil:Regula Rytz

Lesezeit: 2 min

(Foto: Anthony Anex/Keystone/dpa)

Chefin der Schweizer Grünen mit Ambitionen.

Von Isabel Pfaff

Die strahlende Galionsfigur der Schweizer Grünen ist eigentlich gar keine. Parteichefin Regula Rytz, 57 Jahre alt, wirkt bei Auftritten eher zurückhaltend und kontrolliert, Glamour oder Charisma sucht man bei der schlanken Frau mit dem dunklen Pagenschnitt vergebens. Als am Abend des 20. Oktober klar wurde, dass die Schweizer Grünen unter ihrer Führung einen historischen Wahlsieg eingefahren hatten, tanzte Regula Rytz zwar mit ihren Mitstreitern auf den Straßen von Bern - aber selbst in diesem Moment wirkte die Politikerin ein bisschen linkisch und steif.

Nun wagt ausgerechnet diese Frau ein politisches Experiment: Rytz will die Grünen in die Regierung führen und kandidiert für den siebenköpfigen Bundesrat, der an diesem Mittwoch neu gewählt wird. Traditionell sind dort die vier stärksten Parteien vertreten, und bisher gehörten die Grünen diesem Kreis nicht an. Mit nun 28 Parlamentssitzen im 200-köpfigen Nationalrat, 17 mehr als zuvor, hat sich das geändert. Nach diesem Wahlergebnis sehe sie es als ihre Pflicht an, anzutreten, sagte Rytz bei der Bekanntgabe ihrer Kandidatur vor gut zwei Wochen. Der Klimaschutz verlange schnelle Antworten.

Tatsächlich ist Regula Rytz in mehrerlei Hinsicht wie gemacht für den Bundesrat. Die am Thuner See geborene frühere Lehrerin passt mit ihrem bescheidenen Auftritt gut in das ziemlich einzigartige Schweizer Regierungsgremium. Wer im Bundesrat mitregieren will, muss kompromissorientiert und umgänglich sein, schließlich geht es im Konkordanzsystem der Schweiz um mehrheitsfähige Lösungen, nicht um das Regierungsrecht der stärksten Kraft. Charismatische Starpolitiker schaffen es in diesem System selten nach oben.

Hinzu kommt, dass Rytz trotz ihres entschiedenen linken Kurses über die Parteigrenzen hinaus respektiert wird. Sie sei "die perfekte Verkörperung von hart in der Sache und gemäßigt im Ton", lobte sie jüngst der Chef der Christdemokraten. Rytz gilt als stets gut informiert, als harte Arbeiterin, auch als gute Zuhörerin. Vor allem aber bringt sie einiges an politischer Erfahrung mit: Bevor sie 2011 Abgeordnete im Bundesparlament wurde, war sie viele Jahre Parlamentarierin und sogar Regierungsmitglied im Kanton Bern. Die grüne Partei führt Rytz seit 2012, zuerst in Co-Leitung, seit 2016 alleine. Beides, Parteileitung und Exekutiverfahrung, gilt als wichtige Voraussetzung für einen Sitz im Bundesrat.

Gute Karten also für Regula Rytz, sollte man meinen - nur folgt die Schweizer Regierungsbildung ihren ganz eigenen Regeln. Erstens: Bundesräte werden eigentlich nicht abgewählt, sie regieren so lange, wie sie möchten. Und dieses Jahr will keiner der sieben Minister zurücktreten. Zweitens: Wahlerfolge bedeuten in der Schweiz nicht automatisch eine Veränderung der Sitzverteilung im Bundesrat. Das musste zuletzt die rechtskonservative SVP erfahren, die sich trotz ihres steilen Aufstiegs eine Legislaturperiode lang gedulden musste, bis sie einen zweiten Sitz im Bundesrat erhielt. Und drittens wird in der Schweiz Minderheitenschutz großgeschrieben. Nach langer Pause sitzt seit 2017 mit dem FDP-Mann Ignazio Cassis wieder ein Tessiner im Bundesrat. Genau ihn möchte Regula Rytz mit ihrer Kampfkandidatur nun angreifen, er gilt als der schwächste Bundesrat unter den sieben. Doch das Tessin rauszukegeln kommt für viele Parlamentarier nicht infrage.

Gut möglich also, dass, ganz schweizerisch, am 11. Dezember alles so bleibt wie es ist. Regula Rytz würde in diesem Fall als erfolglose Revolutionsführerin in die Schweizer Geschichtsbücher eingehen. Und sie hätte damit wohl den Zenit ihrer Macht überschritten. Zwar sitzt sie auch in den kommenden vier Jahren für die Grünen im Parlament, doch die Parteileitung gibt sie Anfang 2020 wegen einer parteiinternen Amtszeitbeschränkung ab.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir die Sitzanzahl im Nationalrat fälschlicherweise mit 100 angegeben. Es sind jedoch 200.

© SZ vom 09.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: