Profil:Peter Scholze

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Mathematikgenie, geehrt mit der höchsten Auszeichnung, der Fields-Medaille.

Von patrick illinger

(Foto: Volker Lannert/Universität Bonn)

Im Jahr 1786 wollte ein Braunschweiger Grundschullehrer seine Klasse eine Weile lang ruhigstellen. Hierzu gab er den Schülern die Aufgabe, alle Zahlen von eins bis hundert zu addieren. Doch die Ruhe dauerte nicht lang. Nach wenigen Minuten trat ein neunjähriger Schlaukopf ans Lehrerpult und legte das Ergebnis vor. Der junge Carl Friedrich Gauß hatte erkannt, dass die erste und letzte Zahl, die eins und die 100 zusammen 101 ergaben, ebenso wie die zweite und die vorletzte Zahl - und alle weiteren Zahlen bis 50 und 51. Gauß stellte fest, dass er lediglich 101 mit 50 multiplizieren musste, um die Summe der Zahlen von eins bis hundert zu erhalten: 5050.

Mehr als zwei Jahrhunderte später, im Jahr 2010, erlebte ein Mathematik-Student der Universität Bonn seinen eigenen Gauß-Moment. Der 22-jährige Peter Scholze erkannte, dass ein wichtiger, 288 Seiten langer Beweis aus dem Gebiet der Zahlentheorie unnötig kompliziert war. Der junge Mann fand einen Weg, die "lokale Langlands-Vermutung" deutlich eleganter zu beweisen - und brauchte dafür nur 37 Seiten. Dieser Coup machte in der Fachwelt schnell die Runde. "Es war demütigend", erinnert sich ein Professor aus Boston.

Scholzes Begabung, die bis dahin lediglich an seiner Universität aufgefallen war, fand nun weltweit Beachtung. Zwei Jahre später wurde er zum damals jüngsten Professor Deutschlands berufen. Im Alter von 27 Jahren erhielt er den Leibniz-Preis, die höchste deutsche Auszeichnung für Forscher. Ein Ausnahmetalent, wie es nur alle paar Jahrzehnte aufkomme, hieß es in der Laudatio der Deutschen Forschungsgemeinschaft. An diesem Mittwoch wurde nun bekanntgegeben, dass Peter Scholze die Fields-Medaille erhält. Das ist die weltweit höchste Auszeichnung in der Mathematik. Sie wird nur alle vier Jahre an maximal vier Rechenkünstler vergeben. Dass die Laureaten nicht älter als 40 Jahre sein dürfen, ist fast nie ein Problem. Mathematiker haben ihre größten Momente meist in jüngeren Jahren.

Sein Fach interessierte ihn bereits als Gymnasiast, wo er Mathematik auf Universitätsniveau betrieb. An seiner Schule, dem Berliner Heinrich-Hertz-Gymnasium, sei man kein Außenseiter gewesen, wenn man sich für Mathe interessierte, sagt Scholze. Mit 16 versuchte er, den Beweis für Pierre de Fermats letztes Theorem zu verstehen. Fermat hatte bereits vor mehr als 350 Jahren behauptet, dass die Gleichu ng x^ n +y^ n =z^n sich mit ganzen Zahlen (außer der Null) nicht lösen lässt, wenn n größer als 2 ist. Der Beweis, die berühmteste mathematische Leistung des 20. Jahrhunderts, führte Scholze in sein heutiges Fachgebiet, die Verknüpfung von Zahlentheorie und Geometrie. Zu seinen bislang größten Erfolgen zählt die Entdeckung geometrischer Strukturen, die er "perfektoide Räume" nennt.

Dass die Mathematik als objektive Realität existiere, fasziniere ihn besonders, sagt Scholze, man müsse sie nur durch Nachdenken entdecken. Als Student in Bonn schrieb er nie mit, erinnert sich ein Kommilitone. Scholze verstand sofort, was die Professoren in ihren Vorlesungen erzählten. Und nicht nur das: Er verinnerlichte es. Heute lösen seine Fähigkeiten in Fachkreisen Bewunderung, ja sogar Ehrfurcht aus. Er gehe Fragen kaum je von unten an, sagen Kollegen, also von einem konkreten Problem ausgehend. Wie er selbst berichtet, begeistern Scholze zunächst allgemeine, fast philosophische Betrachtungen zu Zahlen und geometrischen Räumen. Die Beschäftigung mit Grundsätzlichem führe dann zu konkreten Aussagen, Theoremen und Beweisen.

Menschlich bleibe er stets geerdet, berichten seine Kollegen. "Er gibt einem nie das Gefühl, dass er, nun ja, sehr weit über dir steht", sagt ein Mitstreiter aus Studententagen. Erst jüngst wurde bekannt, dass Scholze zusätzlich zu seiner Professur in Bonn als Direktor an das Max-Planck-Institut für Mathematik berufen wurde.

© SZ vom 02.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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