Profil:Natalja Poklonskaja

Lesezeit: 2 min

Duma-Abgeordnete mit Hang zur spektakulären Polit-Inszenierung.

Von Frank Nienhuysen

(Foto: www.kremlin.ru)

Sie hat die "Schande"-Rufe auf den Straßen vermutlich auch vernommen, die dem Premier galten, der Regierung und dem russischen Parlament, der Duma. Seltsam, dass sie nicht auch gegen Natalja Poklonskaja gerichtet waren. Poklonskaja, 38, ist immerhin Abgeordnete der Regierungspartei Einiges Russland, die vor zwei Wochen praktisch geschlossen die umstrittene Rentenreform gebilligt hat. 329 Abgeordnete ihrer Partei stimmten ab, Poklonskaja aber nahm sich die Freiheit, als Einzige dagegen zu stimmen.

Will sie wirklich nicht, dass Männer und Frauen künftig länger arbeiten müssen in Russland? Oder soll Poklonskaja eine Symbolfigur dafür sein, dass auch in Wladimir Putins Regierungspartei über das ungeliebte Gesetz diskutiert wird? Die Fraktion jedenfalls diskutierte zuletzt vor allem über Poklonskajas möglichen Rauswurf oder Austritt. Der Fraktionschef drängte sie, "eine Entscheidung zu treffen", wenn ihre Haltung nun mal nicht mit der des "Kollektivs" übereinstimme. Doch Poklonskaja denkt überhaupt nicht dran. Sie spricht vom Gewissen, dem alleine sie verantwortlich sei, und natürlich den Wählern. Und wie denen zumute ist, weiß sie nicht erst seit diesem Protest-Wochenende. Die Rentenreform ist das unbeliebteste Gesetz der vergangenen Jahre.

Ihre Gegenstimme macht aus Natalja Poklonskaja noch keine dauerhafte Partei-Renegatin. Irgendwie aber hat sie ein Faible dafür, sich in der russischen Politszene spektakulär in Szene zu setzen, seitdem sie 2014 im Zuge der Krim-Annexion bekannt wurde.

Poklonskaja stammt aus dem Osten der Ukraine, noch als Kind zog sie mit ihren Eltern auf die Krim. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft machte sie in der Ukraine als Staatsanwältin Karriere, während der Krim-Krise 2014 schloss sie sich jedoch dem Kurs Moskaus an und trat als Oberstaatsanwältin zurück. Sie schäme sich, in einem Land zu leben, in dem Banditen herumliefen, sagte sie und meinte die Radikalen unter den vielen Maidan-Demonstranten. Gerade mal Mitte 30 war Poklonskaja, als sie daraufhin Generalstaatsanwältin der Krim wurde. Das blieb sie, bis sie 2016, zwei Jahre nach dem Anschluss der Halbinsel, Abgeordnete der russischen Duma wurde. Stets auf Linie und ohne Hang zur Toleranz.

Vor der Präsidentschaftswahl griff Poklonskaja die oppositionelle Kandidatin Xenia Sobtschak an, weil diese sich getraut hatte, mit Hinweis auf das Völkerrecht die Krim ukrainisch zu nennen. Poklonskaja verlangte, dass Sobtschak als Bewerberin gestrichen werde, ohne Erfolg. Das gilt auch für eine andere aufsehenerregende Kampagne, in der sie sich ins Zentrum einer landesweiten Debatte rückte. Denn sie wollte, dass der Film "Mathilda" verboten wird. Es geht darin um den letzten Zaren, den Poklonskaja, eine große Verehrerin des Monarchen, verunglimpft sah.

Der Eindruck im Film, Nikolai II., gespielt vom deutschen Schauspieler Lars Eidinger, habe eine Liebschaft mit einer Tänzerin gehabt, war ihr unerträglich. Sie hetzte gegen das Werk, in dem der Zar als "willensschwach" dargestellt werde, "Schädlingsarbeit" war auch eine ihrer Vokabeln. Als der Regisseur die Politikerin einlud, den Film wenigstens mal anzusehen, sagte sie "Nein", das brauche sie nicht. Und doch, die russischen Gerichte konnte sie nicht zu einem Verbot bewegen. Als ein Vertreter der Zarenfamilie Poklonskaja gereizt vorwarf, ohne ihre laute Kampagne hätte der Film deutlich weniger Aufmerksamkeit und Zuschauer gehabt, gab die Abgeordnete pikiert den Orden zurück, den sie privat von der Zaren-Famiie Romanow erhalten hatte.

Mit ihrer Gegenstimme zur Rentenreform hat sich Poklonskaja nun erst mal wieder nicht durchgesetzt. Doch Präsident Putin hat mit Blick auf die nächste Lesung des Gesetzes im September schon angekündigt, dass ihm eigentlich gar keiner der diskutierten Gesetzesvarianten so recht gefalle. Poklonskaja ist also keineswegs allein.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: