Profil:Micheál Martin

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(Foto: Niall Carson)

Routinier und neuer Premier von Irland.

Von Cathrin Kahlweit

Er wird demnächst 60 Jahre alt, und ein runder Geburtstag ist immer ein Grund zum Feiern. Micheál Martin ist auch seit wenigen Tagen Premierminister der Republik Irland, der in der Landessprache Taoiseach heißt. Die Geburtstagsfeier konnte er langfristig planen. Der neue Job ist hingegen eine ziemliche Überraschung - wenn man bedenkt, dass Martin Chef der konservativen Fianna-Fáil-Partei ist, die mit der Fine-Gael-Partei seines Vorgängers Leo Varadkar quasi seit dem Bürgerkrieg vor hundert Jahren in einer historischen Dauerfehde liegt.

Nun aber bilden die beiden Gruppierungen, gemeinsam mit den Grünen als Mehrheitsbeschafferin, eine Regierung. Die Verhandlungen hatten Monate gedauert, weil laut Wahlergebnis drei Parteien quasi gleichauf lagen, und das Ergebnis ist eine für Irland eher ungewohnte Kompromisslösung: Martin übernimmt die erste Hälfte der Legislaturperiode, und Vorgänger Varadkar wird sein Nachfolger.

Für Micheál Martin war es ein langer, politischer Weg. Er sitzt seit 30 Jahren im Parlament und hatte schon so ungefähr jeden Kabinettsposten inne, den man sich denken kann; er war in den Neunzigerjahren Minister für Bildung und Wissenschaft, dann für Gesundheit und Kinder. In dieser Zeit führte er ein komplettes Rauchverbot am Arbeitsplatz ein. Er war Minister für Handel und leitete das Außenamt während der Finanzkrise, die Irland schwer traf. In seine Amtszeit als Außenminister fiel auch das Nein der Iren in einer Volksabstimmung zum Lissabon-Vertrag, was zu einer schweren Regierungskrise führte. 2011 wurde er Parteichef - und verlor kurz darauf die Wahl krachend; die Wähler straften Fianna Fáil unter anderem dafür ab, dass EU und Internationaler Währungsfonds die irischen Banken retten mussten und das Land zu einem drastischen Sparkurs zwangen. Martin entschuldigte sich damals für politische Fehlentscheidungen, als seine Partei die Regierung führte. "Wir haben einiges falsch gemacht. Es tut uns leid."

Der Weg zurück war mühsam, was Parlamentssitze und Einfluss angeht. Jetzt ist er am Ziel - ein Routinier, der es schon kaum noch geglaubt haben dürfte, dass er einmal die Republik führen würde. Zumal die gesamtirische, nationalistische, die Wiedervereinigung anstrebende Sinn-Féin-Partei mit dem größten Stimmenzuwachs die eigentliche Wahlsiegerin im Februar gewesen war und sich Hoffnungen auf den Posten des Taoiseachs gemacht hatte. Varadkar und Martin einigten sich; nun müssen sie sich zusammenraufen.

Martin muss nun vor allem die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise managen und will das Land - ein Versprechen an den grünen Koalitionspartner - auf die Folgen des Klimawandels einstellen. Einen besonderen Fokus muss seine Regierung auf Wohnungsbau und Sozialpolitik legen, denn es waren diese zwei Themenbereiche, mit denen die politische Konkurrenz im Wahlkampf sehr erfolgreich war. Der britische Independent mutmaßt, dass Fianna Fáil in den kommenden Jahren viele Federn lassen werde, weil die republikanischen Wähler, Arbeiter und Bauern, verstärkt zu den Wiedervereinigungsbefürwortern von Sinn Féin überlaufen würden. Die Iren hätten für Wandel und Neuanfang gestimmt, bekämen aber nun die alten Gesichter und die alten Rezepte vorgesetzt.

Martin wird es als Regierungschef auch sonst nicht ganz leicht haben nach dem flamboyanten, offen in einer schwulen Partnerschaft lebenden Varadkar. Martin gilt als traditionsverbunden, fleißig, ein wenig langweilig - ein Karrierepolitiker mit fünf Kindern, von denen aber zwei gestorben sind. Er hat als Lehrer in seiner Heimatgemeinde Cork angefangen, und wenn er nicht Politik macht, beitreibt er exzessiv Fitness oder schaut Fußball. Sein Vater war Busfahrer - und ein landesweit bekannter Boxer. Nun muss auch Micheál Martin, der als "Zauderer" gilt, seine harte und entscheidungsfreudige Seite zeigen.

© SZ vom 07.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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