Profil:Lang Lang

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(Foto: AP)

Der chinesische Klavierstar zeigt jetzt einen zirkushaften Auftritt.

Von Harald Eggebrecht

Er habe schon Stücke für zwei, vier und sechs Hände gespielt, aber noch nie für fünf, so der chinesische Klavierstar Lang Lang. Am kommenden Mittwoch wird er nämlich in der New Yorker Carnegie Hall George Gershwins berühmte "Rhapsody in Blue" aufführen. Aber nicht wie gewohnt mit zwei Händen, sondern nur mit seiner Rechten und mit der Hilfe des 14-jährigen Klavierwunderknaben Maxim Lando. Außerdem sitzt der großartige Jazzpianist Chick Corea am zweiten Flügel, denn die Musiker wollen die ursprünglich für zwei Klaviere komponierte Version des Stücks spielen.

Die Schuld an dem ungewöhnlichen, um nicht zu sagen klamaukigen Auftritt trägt eine Ermüdungsverletzung an Lang Langs linkem Arm. Pikanterweise hat er diesen Arm ausgerechnet beim Üben von Maurice Ravels Klavierkonzert für die linke Hand überanstrengt. Ravel hatte dieses Stück 1929 für Paul Wittgenstein geschrieben, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte. Der invalide Pianist regte auch noch andere Komponisten wie etwa Paul Hindemith, Benjamin Britten oder Sergei Prokofjew zu Werken für seine linke Hand an.

Der 35-jährige Lang Lang, geboren in Shenyang und ausgebildet in Peking und am Curtis Institute in Philadelphia, gilt weltweit nicht nur als einer der besten, interessantesten Pianisten unserer Zeit, sondern auch als derjenige mit dem ungehemmtesten und größten Show-Appeal. Dennoch: Mag er auch häufig sehr manieriert und allzu rampenbewusst in Mimik und Gestik spielen, über seine pianistischen Möglichkeiten und seine musikalischen Kommunikationsfähigkeiten bestehen keine Zweifel. Also reißen sich Veranstalter und Orchesterintendanten auf der ganzen Welt darum, Lang Lang zu engagieren, denn mit ihm sind volle Säle garantiert.

Der Künstler selbst kennt absolut keine Berührungsängste, wenn es um Marketing, Show, Glamour und Event geht. Dass sich das auch materiell auszahlt, liegt auf der Hand. Hauptsache, Lang Lang ist dabei. Also spielt er als der Klassikstar schlechthin - von Anna Netrebko vielleicht einmal abgesehen - auch jenseits aller Philharmonien und Konzertsäle bei nahezu jeder Gelegenheit: Ob bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, ob bei der Fußball-Europameisterschaft 2008, ob bei den Olympischen Spielen in Peking 2008, ob bei der Friedensnobelpreisverleihung 2009 an Barack Obama in Oslo, ob bei "Wetten, dass ...?" oder als Klavierbegleiter des Actionfilmstars Jackie Chan auf der Expo 2010 in Shanghai.

Natürlich ist so ein populärer Star längst UN-Botschafter des Friedens, der seinen Weltruhm bei vielen Benefiz-Veranstaltungen einsetzt. Dass er nun bei der Saisoneröffnungsgala der Carnegie Hall nicht fehlen will trotz seiner Handprobleme, grenzt allerdings ans Zirkushafte. Der musikalische Gewinn bei dieser Fünf-Hände-Nummer dürfte dabei eher gering, der Showeffekt dagegen ziemlich spektakulär sein.

Mit seinem Handproblem befindet sich Lang Lang übrigens in guter Gesellschaft. Schon der Komponist Robert Schumann ruinierte sich seine Hand und damit eine Pianistenkarriere durch falsches und übertriebenes Training. Leon Fleisher, einer der großen Klaviermeister nach 1945, konnte über Jahrzehnte seine rechte Hand nicht mehr gebrauchen wegen fokaler Dystonie, auch Musikerkrampf genannt, einer neurologischen Erkrankung. Der hervorragende Pianist Murray Perahia schnitt sich 1992 seinen Daumen an einem Notenpapier, der entzündete sich, Perahia musste mehrere Jahre aussetzen. Bis heute muss er seine Konzerttätigkeit immer wieder wegen zeitweiliger Rückfälle unterbrechen. Dass Lang Lang dagegen noch aus seinem Handicap einen Sensationsauftritt macht, wirkt so, als müsse er dem berüchtigten Spruch: "The show must go on" unbedingt folgen.

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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