Dass es Menschen gibt, die reich sind, stinkreich sogar, ist für viele US-Bürger trotz aller sozialen Gegensätze im Land nach wie vor kein Makel, sondern eher Grund zur Bewunderung. Wer Reichtümer anhäuft, der beweist, dass der amerikanische Traum lebt, dass man es immer noch nach oben schaffen kann, wenn man nur hart genug arbeitet. Die perfekte Verkörperung dieses Traums ist Jeff Bezos: Der Gründer des Onlinehändlers Amazon wuchs in eher einfachen Verhältnissen auf, heute gilt er mit einem geschätzten Vermögen von umgerechnet 110 Milliarden Euro als reichster Mann der Welt.
Die einzige "Gegenleistung", die Amerikaner von ihren Begüterten erwarten, ist, dass sie einen Teil ihres Geldes für wohltätige Zwecke hergeben. So entstand etwa der "Giving Pledge", jene Initiative der Milliardäre Bill Gates und Warren Buffett, die Ultrareiche anhält, große Teile ihres Vermögens zu spenden. Dass sich ausgerechnet Bezos, der Reichste der Reichen, lange verweigerte, brachte ihm viel Kritik ein.
Seit einem Jahr nun spendet der 55-Jährige - und hat jetzt die nächste Kontroverse am Hals. Im Gegensatz zu fast allen Millionärskollegen nämlich schreibt sein Day One Families Fund nicht Gelder aus, auf die sich Hilfsorganisationen bewerben können und vor deren Freigabe ein langes Prüfverfahren steht. Vielmehr suchen Bezos und seine Mitstreiter ihnen genehme Gruppen vorab selbst aus und überraschen sie dann mit dem Angebot, ihnen vier, fünf Millionen Dollar zukommen zu lassen. Im Fokus sind vor allem Vereine, die gegen Obdachlosigkeit kämpfen, auch Kindergärten werden gefördert.
Die Begünstigten können ihr Glück oft gar nicht fassen, wie eine Recherche des Nachrichtenportals Recode ergeben hat. Das gelte umso mehr, als Bezos meist auf alle Formalitäten verzichte: Wer das Geld annehmen will, muss demnach nur eine kurze Erklärung schreiben, wofür es gebraucht wird und ob es bar oder in Form von Amazon-Aktien ausgezahlt werden soll. Genaue Vorgaben, was mit der Spende passieren soll, fehlen ebenso wie die sonst übliche Pflicht, vierteljährlich über die erhofften Fortschritte zu berichten.
Die Reaktionen reichen nun von Entsetzen bis zu Begeisterung: Einerseits birgt Bezos hemdsärmeliger Ansatz naturgemäß die Gefahr, dass das Geld nicht bei den eigentlich Bedürftigen ankommt, dass Verantwortliche riesige Verwaltungsapparate aufbauen oder sich gar persönlich bereichern. Auch wissen die Vereine oft nicht, ob nach der ersten Überweisung jemals wieder ein Scheck kommen wird. Andererseits können die Hilfsgruppen Bezos' Millionen dort einsetzen, wo sie wirklich gebraucht werden. Kein Milliardär im fernen New York oder Los Angeles macht ihnen Auflagen, die an den Bedürfnissen vor Ort vorbeigehen.
Ein wichtiges Problem allerdings lässt sich auch mit Bezos' Laissez-faire-Ansatz nicht lösen: die zunehmende Privatisierung der Entwicklungspolitik. Natürlich wird sich niemand beschweren, wenn reiche Menschen einen Teil ihres Vermögens spenden. Wenn das aber dazu führt, dass staatliche Stellen sich zurückziehen und die Finanzierung wichtiger Projekte daran hängt, ob sie zu den Steckenpferden eines Millionärs zählen, wird es schwierig. Dann stellt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, wenn hohe Vermögen stärker besteuert und die Steuereinnahmen für einen ganzheitlicheren Entwicklungshilfeansatz verwendet würden.
Dass der Amazon-Chef ausgerechnet Obdachlosenhilfegruppen finanziert, könnte nämlich statt mit sozialen Überlegungen vor allem auch mit PR-Erwägungen zu tun haben: Weil nicht zuletzt die Mitarbeiter seines Unternehmens die Mietpreise am Firmensitz in Seattle kräftig in die Höhe getrieben haben, leben in der Westküstenmetropole besonders viele Menschen auf der Straße. Der Versuch der Stadtverwaltung, eine Steuer zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit einzuführen, scheiterte - nach Drohungen von Amazon.