Profil:Irmgard Bensusan

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Deutsche 400-Meter-Siegerin bei der Paralympischen Leichtathletik-WM.

Von Sebastian Fischer

Wer Irmgard Bensusan sprinten sieht, bemerkt ihre Behinderung nicht. "Die hat ja gar nichts", diese verwunderten Stimmen hört sie immer wieder, wenn sie bei paralympischen Wettbewerben antritt. Irmgard Bensusan läuft schnell und flüssig auf zwei Füßen - auf dem gesunden linken und auf dem rechten, den eine Schiene in Position hält; ohne die Schiene würde sie mit dem Fußrücken aufkommen. Drop foot heißt das Handicap, mit dem sie lebt. Eine Nervenschädigung. Ihr fehlt die Kontrolle über einige Muskeln im rechten Bein, sie kann den Fuß nicht abrollen.

Angesehen hat man ihr das aber auch am Sonntagabend im Londoner Olympiastadion nicht, wo sie in 1:02,33 Minuten über 400 Meter zur ersten Goldmedaille für Deutschland bei der Weltmeisterschaft der paralympischen Leichtathleten lief. Bensusan stört das oft, diese Zweifel im Blick ihrer Betrachter: Ist die überhaupt behindert? Fast hätten die Zweifel ihre Sportlerinnen-Karriere verhindert.

Irmgard Bensusan, 26, wurde in Südafrika geboren. Sie begann früh mit der Leichtathletik, war talentiert, startete als Juniorin bei nationalen Meisterschaften. Beim Sturz über eine Hürde verletzte sie sich schwer am Knie; die Ärzte sagten, ihre Laufbahn sei vorbei. Sie wollte im Behindertensport weitermachen. Doch als sie in Südafrika eine Gutachterin aufsuchte, um sich für paralympische Wettbewerbe klassifizieren zu lassen, entgegnete die, Bensusan sei nicht behindert.

Debatten über Vergleichbarkeit gibt es im Behindertensport immer. Einseitig Amputierte laufen gegen beidseitig Amputierte, manche Prothesen sind länger als andere. Ein Rennen wird nicht nur auf der Bahn entschieden, sondern auch im Labor und in der Arztpraxis. Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) bemüht sich, sein System der Klassifizierung fair und transparent zu gestalten, der Fall Bensusan zeigt die Tücken. Ihre Mutter, eine Deutsche, wandte sich nach der Diagnose in Südafrika an den deutschen Verband, wo sich Trainer und ein Arzt der Sache annahmen. In Leverkusen, dem erfolgreichsten Standort der paralympischen Leichtathletik in Deutschland, ließen sie sich Fotos, Videos und medizinische Unterlagen schicken. Sie trugen alles penibel zusammen, stellten den Fall noch einmal vor. Und dieselbe IPC-Gutachterin, die Bensusan in Südafrika abgelehnt hatte, wies sie nun der Amputierten-Klasse T44 zu. 2014 startete Bensusan erstmals für Deutschland.

Seitdem trainiert und wohnt sie im Rheinland, sie fühlt sich wohl, ist glücklich und dankbar. Sie fliegt zwar noch oft nach Südafrika zu ihrer Familie. Doch sie will weiter für Deutschland Medaillen gewinnen, die über 400 Meter am Sonntag in London war ihre erste bedeutende in Gold. Es war auch deshalb ein besonderer Erfolg, weil Irmgard Bensusan in den vergangenen Wochen verletzt war, kaum trainieren konnte. Verdacht auf Ermüdungsbruch. Sie trug eine Schiene, für alle sichtbar - an ihrem linken Fuß.

© SZ vom 18.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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