Profil:Gudlaugur Thor Thordarson

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Islands Außenminister vor WM-Boykott.

Von Silke Bigalke

Die Entscheidung tut ihm selbst wohl am meisten weh. Guðlaugur Þór Þorðarson, in deutscher Transkription Gudlaugur Thor Thordarson, gilt als großer Fußballfan. Zur Weltmeisterschaft nach Russland wird er trotzdem nicht fahren. Der Boykott ist Islands Weg, sich solidarisch mit Großbritannien zu zeigen, wo im März ein russischer Ex-Agent vergiftet wurde. Man wirft nicht die Diplomaten des Kremls aus dem Land, sondern setzt auf Fußballdiplomatie: Die Mannschaft nimmt teil, die Politiker bleiben fern.

Ein Mittel mit größerer Symbolkraft hätte er kaum wählen können. Island ist zum ersten Mal überhaupt für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Politisch ist auf der Insel zuletzt wenig rund gelaufen - die Finanzkrise, die Panama Papers, eine Reihe politischer Skandale, zwei vorgezogene Wahlen innerhalb eines Jahres haben das Vertrauen der Bürger erschüttert. Doch der sagenhafte Erfolg bei der Fußball-EM 2016 hat die Isländer getröstet und geeint, damals schlug das kleine Land sogar das große Britannien. Die isländischen Fans sorgten mit ihrer Huh-Choreografie dafür, dass die Welt die Reykjavíker Skandale vergaß.

Damals war Gudlaugur Thor Thordarson noch nicht Außenminister. Der 50-Jährige gehört zu Islands ältester und größter Partei, der konservativen Unabhängigkeitspartei. Sie trägt Mitverantwortung für den Schlamassel der letzten Jahre und hat zu Recht einen Teil ihrer Macht eingebüßt. Sie ist trotzdem noch stärkste Kraft im Parlament, wo so viele Fraktionen und Parteien sitzen wie nie. Auch weil es dadurch schwierig war, überhaupt eine stabile Koalition zu bilden, ist Gudlaugur Thor Thordarson heute Minister.

Er gilt als ein anderer Politikertyp als sein Parteichef, der schillernde, skandalbehaftete Bjarni Benediktsson, derzeit Wirtschaftsminister und einst Premierminister. Zwar war auch Gudlaugur Thor Thordarson 2009 in einen Spendenskandal verwickelt, doch das ist für isländische Verhältnisse lange her. Er kommt, anderes als Benediktsson, nicht aus einer reichen Unternehmerdynastie, hat Politologie studiert und saß acht Jahre im Stadtrat von Reykjavík, bevor er 2003 ins Parlament einzog und 2007 erstmals Minister wurde, damals für Gesundheit und Soziales. Es heißt, der Rückhalt bei den Wählern in Reykjavík sei immer noch seine größte Stärke. Seine Partei gilt sonst als Partei des ländlichen Island und vertritt die Interessen der mächtigen Fischereiindustrie. Die leidet darunter, dass Island sich den Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat. Island gehört zwar nicht der EU an; Thordarsons Partei ist strikt gegen einen Beitritt. Doch der Inselstaat folgt in vielen Dingen der EU-Politik. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland könnten ein Grund dafür sein, dass Gudlaugur Thor Thordarson keine russischen Diplomaten verbannen will.

Er selbst begründet die Entscheidung damit, dass Islands so klein ist. Schließlich habe er nur drei Diplomaten in Moskau, sagt er isländischen Medien zufolge; wenn einer, gar zwei von ihnen nach Hause geschickt würden, weil Island russische Diplomaten ausweist, hätte er keine funktionierende Botschaft mehr. Stattdessen verzichtet er, dessen Herz übrigens für den FC Liverpool schlägt, also auf den Fußball. Dem Boykott schließt sich wahrscheinlich auch der isländische Präsident Gudni Thorlacius Johannesson an. Wie serh er sich auf das Turnier gefreut hatte, zeigt ein Video: Gemeinsam mit der First Lady kickt er darin einen Ball durch den Amtssitz, beide tragen Nationaltrikots. Klar ist: Island will sich durch den Fußball einmal mehr ins Rampenlicht spielen. Das Team und die Fans fahren natürlich zur WM; ihre Politiker werden sie da kaum vermissen. Das sieht auch Gudlaugur Thor Thordarson ein. Die Mannschaft müsse nach Russland fahren, sagt er, aber "es ist nicht so wichtig, wenn Gulli (das ist sein Spitzname) zu Hause bleibt, auch wenn er wirklich gerne dort gewesen wäre."

© SZ vom 28.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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