Profil:Gregor Gysi

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Gregor Gysi. (Foto: dpa)

Hinterbänkler vor der Wiederkehr in die vorderen Reihen.

Von Boris Herrmann

Von einem Comeback zu sprechen, wäre wohl übertrieben, denn Gregor Gysi war ja nie wirklich weg. So richtig da war er allerdings auch nicht mehr. Die breitere Öffentlichkeit hat zuletzt jedenfalls wenig Notiz davon genommen, dass Gysi neben all seinen außerparlamentarischen Tätigkeiten als Buchautor, Moderator, Entertainer und Currywurstesser auch weiterhin für die Linksfraktion im Bundestag sitzt. Gemessen an seiner natürlichen Präsenz, saß er da in den vergangenen vier Jahren erstaunlich unscheinbar mit dabei, der geborene Hauptdarsteller als einfacher Abgeordneter, oder wie es oft etwas despektierlich heißt: als Hinterbänkler. Aber das könnte sich jetzt ändern. Auf Vorschlag der Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali soll Gysi am Dienstag zum außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion gewählt werden. Wenn das kein Comeback ist, dann ist es zumindest eine Einladung, wieder ein paar Bankreihen nach vorne zu rücken.

Gysi, 72, ist in seiner langen Karriere als einer der unterhaltsamsten und schlagfertigsten Politiker der Republik schon mehrfach ein wenig abgetaucht. Zwei Mal, 2000 und 2015, legte er mit großer Geste den Fraktionsvorsitz der PDS beziehungsweise der Linken nieder. Als Berliner Wirtschaftssenator trat er 2002 wegen der sogenannte Flugmeilen-Affäre zurück. Zwischenzeitlich zwangen ihn auch mehrere Herzinfarkte zu einer ruhigeren Gangart. Aber bei all dem ist er immer der Popstar der Linken geblieben, einer Partei, die es ohne ihn vermutlich nicht gäbe - und die bis heute so widersprüchlich anmutet wie er selbst.

Sein Lebenslauf gleicht einem Schelmenroman, so stellt er das in seiner Autobiografie "Ein Leben ist zu wenig" dar. Gysi ist kein Kind der Arbeiterklasse, sondern einer Ostberliner Intellektuellenfamilie, die Nobelpreisträgerin Doris Lessing war seine Tante. Seine bürgerlichen Freiheiten wusste er subversiv zu nutzen, etwa indem er sich die erste Beatles-Platte in der DDR besorgte, daran glaubt er jedenfalls. An den Vorsitz der abgewirtschafteten SED gelangte er Ende 1989 eher zufällig, zumindest überraschend. Vermutlich hätte man von diesem Rentnerverein nicht mehr viel gehört, wenn Gysi ihn nicht in mehrere Häutungen von der PDS über die Linkspartei in die auch in Westdeutschland relevante Linke überführt hätte. Gegen alle Vorwürfe wegen seiner angeblichen Stasi-Verstrickung und beiseitegeschaffter Parteivermögen ist er erfolgreich gerichtlich vorgegangen. Im Rechtsanwalt Gysi steckt auch ein geschickter Anwalt seiner selbst.

Dass er jetzt, wenn nicht alle Stricke reißen, noch einmal als führender Außenpolitiker seiner Fraktion in die erste Reihe zurückkehrt, liegt wohl auch daran, dass sich seine langjährige Gegenspielerin Sahra Wagenknecht aus ebendieser Reihe zurückgezogen hat und er sich wieder gebraucht fühlt. Mit dem freiwilligen Verzicht Stefan Liebichs auf diesen Sprecherposten verliert die Linke vor allem einen Brückenbauer in Richtung Rot-Rot-Grün. Auch wenn die Umfragen seit dem Ausbruch der Corona-Krise nicht mehr auf eine neue linke Mehrheit hindeuten, sehnt sich die Partei nach einer Machtperspektive im Bund. Der Reformer und Pragmatiker Gysi soll es richten. Er hat oft genug bewiesen, dass er keine innerparteiliche Auseinandersetzung scheut, und die wird es gerade an der unberechenbaren außenpolitischen Flanke der Linken garantiert geben, wo immer noch eine Gruppe von Unverbesserlichen mit Despoten wie dem Venezolaner Nicolás Maduro flirtet.

Im Epilog seiner Autobiografie aus dem Jahr 2017 steht: "Ich bin wild entschlossen, das Alter zu genießen." Das Alter aber muss sich jetzt wohl noch eine Weile gedulden. Gysi will sich einstweilen einer anderen Form des Genusses widmen, die man durchaus seine Spezialdisziplin nennen darf, nämlich politische Gegner und Parteifreunde gleichermaßen auf höchst amüsante Weise zu nerven.

© SZ vom 04.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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