Profil:Feyisa Lilesa

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(Foto: Frank Augstein/AP)

Der Marathonläufer ist zugleich ein Aktivist und Volksheld in Äthiopien.

Von Bernd Dörries

Es gab sie, die Momente, in denen sich Feyisa Lilesa gefragt hat, ob es das alles wert war, ob er etwas verändert hat. Immer wieder lief er durch die Weite Arizonas und sagte sich: "Ich bin allein, genauso wie ich in diesem Land allein bin, ich muss stark sein." Zwei Jahre lang war Feyisa allein, zwei Jahre lang war er stark, lebte im Exil in den USA anstatt in seiner Heimat. In diesen Tagen kehrt der 28 Jahre alte Olympia-Silbermedaillengewinner im Marathon bei den Spielen in Rio 2016 zurück nach Äthiopien. Es wird einen triumphalen Empfang geben für Feyisa, der für Millionen Äthiopier ein Held ist.

Und das nicht so sehr wegen der Silbermedaille, die eine feine Sache ist, im Land der Läufer in Ostafrika aber auch nichts Besonderes. Besonders war die Geste, die Feyisa beim Zieleinlauf machte, er kreuzte die Unterarme und ballte die Fäuste. Im Äthiopien des Jahres 2016 war diese Geste das Zeichen des Widerstandes des Oromo-Volkes gegen die Unterdrückung durch ein Regime, das von der Minderheit der Tigray geführt wurde.

Hunderttausende demonstrierten damals in der Region Oromia für freie Wahlen, für ihre Rechte. Die Welt interessierte das nicht besonders, erst die gekreuzten Arme von Feyisa sollten das ändern. So wie sie sein Leben änderten. Seine ganze Familie hatte seinen Sieg vor dem Fernseher gesehen und gejubelt. Als er die Arme kreuzte, wurde es totenstill. "Wie will er nach Hause kommen?", fragte sich seine Frau. Feyisa kam nicht zurück aus Rio, er flog direkt in die USA, aus Angst vor der Rache des Regimes.

Viele Jahre war er wütend gewesen darüber, wie sein Volk behandelt wurde. Und er war wütend gewesen über sein eigenes Schweigen. Den Protest in Rio hatte er seit Monaten geplant, ohne irgendjemand einzuweihen. Wobei er natürlich wusste: Die Geste würde nur gesehen werden, wenn er auf dem Podium landete.

Feyisa gehörte nicht zu den Favoriten für Olympia, er hatte 2016 zwar den Marathon in Tokio gewonnen, aber mit einer Zeit, die nicht mal zu den 30 besten des Jahres gehörte. In Rio musste er über sich hinauswachsen. Er rannte in den Farben Äthiopiens, als er ins Ziel kam, reichte ihm ein Landsmann die Flagge, er nahm sie nicht und sagte später: "Ich kann nicht die Flagge eines Landes halten, in dem ich keine Rechte habe." Er sagte es in gebrochenem Englisch, weil der Übersetzer, der eigentlich vorgesehen war, sich weigerte, diese ungeheuren Worte zu übersetzen. In Äthiopien wurde Feyisa so zum Idol und Symbol des Protests, zu einem der wenigen bekannten Sportler, die eine politische Meinung haben und den Mut, auch dafür einzustehen.

Feyisa zog nach Arizona, trainierte dort in den Weiten des Landes. Und schaute sich doch immer wieder über die Schulter, ob das Regime nicht doch jemand geschickte hatte, ihn zu töten. Als der Bruder ihn in den USA besuchte, wurde er nach seiner Rückkehr verhaftet, Freunde wurden bei den Protesten von der Polizei erschossen. Feyisa lief weiter, jedes Rennen war eine Möglichkeit, die Arme zu kreuzen, auf den Konflikt in der Heimat aufmerksam zu machen. Mal gewann er, mal fragte er sich, was ist, wenn die Siege ausbleiben? Wenn sich zu Hause nie etwas ändert?

Dann geschah das Undenkbare. Im Frühjahr wurde der junge Abiy Ahmed zum neuen Premierminister Äthiopiens ernannt, ein Oromo wie Feyisa, der seitdem das Land in einem unglaublichen Tempo reformiert, politische Gefangene freilässt und die Opposition zur Rückkehr ermutigt. Feyisa hat sich den Wandel in den vergangenen Monaten genau angeschaut, er hat sich hin und wieder positiv geäußert, sich aber wohl auch gefragt, wie unumkehrbar die Reformen sind. Nun hat er sich für Rückkehr entschieden. "Sehr wahrscheinlich werde ich auch wieder für mein Land laufen", sagte er dem Radio der Voice of America. Sein Land wartet auf ihn und wird ihn empfangen wie einen großen Helden.

© SZ vom 20.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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