Profil:Einat Kalisch Rotem

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Von Orthodoxen unterstützte erste Bürgermeisterin einer Großstadt in Israel.

Von Alexandra Föderl-Schmid

(Foto: oh)

Einat Kalisch Rotem hat Geschichte geschrieben - als die erste Frau seit der Gründung des Staates Israel vor 70 Jahren, die Bürgermeisterin einer größeren Stadt wird. Die Sozialdemokratin wurde bei der Kommunalwahl am Dienstag völlig überraschend zum neuen Stadtoberhaupt von Haifa gewählt, der drittgrößten Stadt des Landes. Sie erhielt 55 Prozent der Stimmen, der bisherige Amtsinhaber Jona Jahaw nur 37 Prozent. Jahaw regierte seit 15 Jahren. Kalisch Rotem trat schon vor fünf Jahren gegen den liberalen Politiker an. Damals erhielt sie nur 15 Prozent.

Diesmal wurde ihr Wahlsieg vor allem deshalb ermöglicht, weil die ultraorthodoxe Partei Degel Hatora (Banner der Tora) sie unterstützt hat. Das ist bemerkenswert, weil die streng Religiösen selbst keine weiblichen Kandidaten aufstellen. Aber in Haifa war deren Vertretern wichtiger, dass der bisherige Bürgermeister sein Amt verliert. Deshalb leisteten sie Schützenhilfe für den aussichtsreichsten Herausforderer - das war eben eine Frau, die bisherige Oppositionsführerin im Stadtrat von Haifa.

Der Chef der ultraorthodoxen Partei, Mosche Gafni, verteilte noch am Wahlabend Vorschusslorbeeren. Dabei hatte der Knesset-Abgeordnete in der Vergangenheit wiederholt dafür gekämpft, Frauen von öffentlichen Veranstaltungen auszuschließen. Deshalb war es umso überraschender, dass just Vertreter dieser Ultraorthodoxen am Wahlabend im Rathaus von Haifa Freudentänze aufführten und dem neuen weiblichen Stadtoberhaupt öffentlich Beifall spendeten.

Dabei war bis kurz vor der Wahl unklar, ob Kalisch Rotem, 47, überhaupt antreten darf. Die Arbeitspartei Awoda hatte nämlich zwei Kandidaten eingereicht. Das Innenministerium und ein Gericht in Haifa entschieden daraufhin, dass Kalisch Rotem nicht kandidieren dürfe. Der zweite Bewerber zog sich schließlich zugunsten von Kalisch Rotem zurück, die die Unterstützung des Parteichefs der Awoda, Avi Gabbay, genoss. Erst das Oberste Gericht machte mit einer Entscheidung am 22. Oktober endgültig den Weg frei für ihre Kandidatur.

Kalisch Rotem verstand es geschickt, eine eigentlich politisch unvorstellbare Allianz zu schnüren: Neben den Ultraorthodoxen, die eine gewichtige Wählerklientel stellen, sicherte ihr auch die linke Meretz-Partei Unterstützung zu. Selbst Parteichef Gabbay dürfte von ihrem Erfolg überrascht worden sein. Er twitterte: "Einat hat gezeigt, dass man sich mit harter Arbeit und viel Entschlusskraft gegen den Trend durchsetzen kann."

Ihr politisches Engagement hat Kalisch Rotem bislang neben ihrer Tätigkeit als Architektin und Stadtplanerin betrieben. Sie war Partnerin eines Architekturbüros, bis 2012 war sie selbständig. 16 Jahre lang hielt sie Vorlesungen am Technion, jener renommierten Technischen Universität in Haifa, an der sie selbst Architektur studiert hatte. Ihre Promotion erwarb sie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, im Fachbereich Architektur und Stadtplanung.

Im Laufe der Jahre hat sich Kalisch Rotem auf das Thema Nachhaltigkeit und Revitalisierung von ehemaligen Industrieflächen und -bauten in Stadtgebieten spezialisiert. Haifa, eine Stadt mit rund 280 000 Einwohnern, ist einer der wichtigsten Industriestandorte des Landes. Der Hafen hat mit 20 Millionen Tonnen den höchsten Umschlag des Landes, in seiner Nähe liegt eine der beiden Raffinerien Israels. Wie Haifa trotz Hafens und Industriebetrieben lebenswert bleibt, ist einer der Hauptstreitpunkte der Stadtpolitik.

Mit ihren städteplanerischen Vorschlägen hat sich Kalisch Rotem in der Vergangenheit immer wieder in Diskussionen eingemischt. Sie hat sich für eine Verlegung der Eisenbahnschienen starkgemacht, die den Zugang zum Meer blockieren. Über ihr Privatleben hat sie bisher wenig preisgegeben, das könnte sich nun mit ihrem Amtsantritt ändern.

© SZ vom 02.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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