Profil:Daniel Barenboim

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(Foto: dpa)

Der Chefdirigent ist politisch engagiert - und hat einen streitbaren Führungsstil.

Von Helmut Mauró

Jedes Land hat seine eigene Intrigen-Kultur, wie der Dirigent Marek Janowski vor Kurzem aus eigener französischer und deutscher Erfahrung erklärte. Er konnte sich aber trotz seiner 80 Jahre bis heute behaupten und wird demnächst Chef der Dresdner Philharmonie. Auch Daniel Barenboim, argentinisch-israelischer Dirigent und Pianist, ist ein Mann der Tat und besitzt Durchsetzungsvermögen. Als künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden sowie Chefdirigent der zugehörigen Staatskapelle Berlin muss er das haben.

Dass er nun, zunächst anonym im Internet, wegen seines autoritären, "launischen und aggressiven" Führungsstils angegriffen wird, versteht er nicht. Nachdem nun drei Musiker namentlich ausfindig gemacht wurden, von denen einer sagt, er habe durch Barenboims Schikanen körperliche und psychische Probleme bekommen, kontert Barenboim: "Wenn ich ihn so ungerecht behandelt hätte - warum ist er dann zwölf oder 13 Jahre hier geblieben?" Des Weiteren wundert er sich: "Wieso sind diese Vorwürfe bisher nicht erhoben worden, aber jetzt? Weil sie aus meiner Sicht mit einer Kampagne verbunden sind, mit der versucht wird, meinen Verbleib in Berlin zu verhindern." Es geht konkret um Verhandlungen mit dem Berliner Senat über das Jahr 2022 hinaus.

Barenboims künstlerischer Rang ist dabei unbestritten. Als Opern- und Konzertdirigent sowie als Pianist bestimmt er das deutsche, europäische und internationale Kulturleben maßgeblich mit. Aber gerade die künstlerische Bedeutung, die in früheren Zeiten ein vermeintliches oder tatsächliches Schutzschild gegen Vorwürfe aller Art bildete, gerät inzwischen immer öfter zum Verdachtsmoment. Will sich da ein Künstler hinter himmlischer Kunst verstecken, um weltlicher Verfolgung zu entgehen? Aus der Ferne sind die Vorwürfe schwer zu beurteilen. Es gibt auch kaum einen lebenden Dirigenten von Rang, den nicht schon gleiche und schlimmere Anschuldigungen trafen. Meist ist gar kein Gerichtsprozess nötig, um damit eine Karriere zu beenden; dafür gibt es mehrere Beispiele aus jüngster Zeit. Nicht mehr selbstverständlich und umso höher einzuschätzen sind die Statements aus dem unmittelbaren Umfeld.

Matthias Schulz, seit einem Jahr Intendant der Staatsoper Berlin und von Haus aus ein friedfertiger Mensch, stellt sich ebenso hinter Barenboim wie der Vorstand der Berliner Staatskapelle, der ausdrücklich das gegenseitige Vertrauen von Dirigent und Orchester bestätigt. Man darf hoffen, dass dies nicht nur Floskeln sind, sondern berechtigte Abwehrreaktionen auf das anstehende Intrigenspiel. Mindestens so wichtig ist die Aussage Barenboims, er werde bleiben, solange "das Orchester mich will" und er die Kraft dazu habe. Am Willen des Orchesters sollte dies nicht scheitern. Die Musiker haben ihn bereits im Jahr 2000 zum Chefdirigenten auf Lebenszeit ernannt.

Was in der laufenden Personaldebatte Gewicht haben sollte, vielleicht auch manches besser zu verstehen hilft: Barenboim ist nicht nur ein künstlerisch Getriebener, sondern auch ein eminent politischer Mensch. Im Gegensatz zu anderen Klassik-Künstlern, die sich politisch engagiert gerieren, gibt Barenboim nicht nur wohlfeile Statements ab, sondern hat mit seinem Projekt des West-Eastern Divan Orchestra eine dauerhafte Institution geschaffen; junge Israelis und Palästinenser spielen gemeinsam in einem Orchester, das in Berlin beheimatet ist. Auch sein Eintreten für die Musik Richard Wagners, als deren Dirigent er sich seit Jahrzehnten schon musikalisch auf höchstem Niveau einsetzt, ist legendär und führte in Israel zu politischen Verwerfungen. Barenboim dagegen beharrt auf der wichtigen Doppelfunktion von Kultur und Kunst: überpolitisch zu bleiben und doch politisch zu sein, wenn es darum geht, das Menschliche in Form von Menschenrechten und UN-Vereinbarungen zu verteidigen.

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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