Mit dem Notstand hat Carolina Schmidt Erfahrung: Seit sie Chiles Umweltministerin ist, begleitet er sie auf Schritt und Tritt. Keine zwei Wochen, nachdem sie im vorigen Jahr ihr Amt angetreten hatte, ereilte der Notstand sie in Form einer Giftkatastrophe. Binnen zwei Monaten meldeten sich rund um einen Industriekomplex nahe der Hauptstadt 1400 Menschen in Notaufnahmen, alle mit Vergiftungen. Die Regierung verhängte den Notstand in der Gegend. Und ein Notstand ist es auch, der Schmidt nun nach Spanien gebracht hat. Den Klimagipfel, zu dem sie eigentlich nach Santiago einladen wollte, muss sie wegen der Massenproteste in ihrer Heimat nun in Madrid leiten.
"Notstand" steht auch in großen Buchstaben über diesem Gipfel: Es ist die neue Vokabel der Klimapolitik, seit Städte und Parlamente den "Klimanotstand" für sich ausgerufen haben; auch im Kreis der Vereinten Nationen drängen erste Staaten auf seine Ausrufung. Die Länder Lateinamerikas, so sagt das auch Schmidt, "stehen einem sozialen, ökonomischen und ökologischen Notstand gegenüber". Globale Umweltprobleme und Ungleichheit seien "zwei Seiten der gleichen Medaille".
Schmidt entstammt einer Industriellenfamilie mit engen Verbindungen in die Politik. Sie selbst spezialisierte sich auf Marketing, führte zwischenzeitlich ein Wirtschaftsblatt und war Managerin beim Nahrungsmittelkonzern CCU. Chiles einstige Präsidentin Michelle Bachelet holte sie in ihre Regierung, zunächst als Beauftragte für Kinder. Später leitete sie Chiles Frauenbehörde. "Frauen sind eine transformative Kraft", sagt Schmidt, die sich bei Reden immer eine große knallrote Brille aufsetzt. "Wir brauchen mehr Frauen im Verhandlungsprozess und bei der Suche nach Lösungen."
Schmidt war immer gefragt in Santiago. Unter Bachelets Nachfolger Sebastián Piñera wurde sie 2013 Erziehungsministerin, wechselte danach aber wieder in die Wirtschaft. Beim Medienkonzern Copesa trat sie 2017 als Saniererin an. Doch schon ein Jahr später kehrte sie in die Regierung zurück, nun aber mit dem Ruf einer knallharten Managerin. Keiner konnte ahnen, dass die Qualitäten der neuen Umweltministerin so schnell gefordert sein würden.
Doch beim Giftskandal zu Beginn ihrer Amtszeit ging das Management schief. Schmidt benannte eilig einen Ölkonzern als Schuldigen, was von einer benachbarten Chemiefabrik ablenkte. Wie sich herausstellte, hatte ihr Ehemann Verbindungen zur Führung dieser Fabrik. Es kostete Schmidt viel Mühe, den Verdacht abzuschütteln, sie habe den Chemiekonzern schützen wollen. Doch der Vorgang bestätigte all jene, die der chilenischen Regierung eine zu große Nähe zur Wirtschaft vorwerfen. Und gegen diese Nähe richten sich auch viele Proteste der jüngsten Zeit in Chile.
Wie alle Minister hatte auch Schmidt Ende Oktober ihren Rücktritt angeboten, doch in ihrem Fall lehnte Piñera ab. Wenn schon die Konferenz nicht in Chile stattfindet, soll zumindest diejenige sie leiten, die sich seit Monaten darauf vorbereitet hat. Gefragt ist damit in den nächsten Tagen wieder die Managerin Schmidt. Sie wird mit ihrem Team Texte erarbeiten müssen, mit denen am Ende alle Staaten leben können. Sie wird die wichtigsten Verhandler an einen Tisch bringen müssen, um Kompromisslinien zu suchen.
Doch beim wichtigsten Thema der Konferenz, der Gestaltung eines Kohlenstoffmarktes, liegen zwischen den Positionen immer noch Ozeane voller Dissens. Die Lage ist so verfahren, dass die Konferenz ohne Einigung enden könnte. Was dann zu tun ist, weiß Schmidt. Vor vielen Jahren, sie arbeitete noch bei CCU, hatte sie mal einen Workshop gegeben: "Sich Wohlfühlen beim Verhandeln". Die Präsentation dazu hat das Internet nicht vergessen. Wer verhandeln wolle, müsse seine untere Grenze kennen, empfahl Schmidt damals. Und: "Sei bereit, den Raum zu verlassen, wenn du kein gutes Abkommen bekommst."