Profil:Aziz Abu Sarah

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Der Palästinenser will Bürgermeister in Jerusalem werden.

Von Moritz Baumstieger

(Foto: OH)

Nur kurz nachdem er bei seiner Pressekonferenz zu sprechen begonnen hatte, flogen auch schon rohe Eier. Das erste verfehlte Aziz Abu Sarah knapp, es klatschte neben seinem Kopf an die Wand des Jerusalemer Rathauses. Den Eiern Nummer zwei bis vier wich Abu Sarah aus, ein fünftes zerplatzte an der Hand, die er zur Abwehr hochgerissen hatte.

Dass er in der Lage ist, Angriffen auszuweichen, hat der 38-Jährige somit bewiesen. Dass er auch in politischen Kämpfen bestehen kann, muss Abu Sarah noch zeigen. Einfach dürfte das nicht werden: Abu Sarah ist der erste Bürgermeisterkandidat aus dem arabischen Ostteil Jerusalems. Um bei den Wahlen Ende Oktober zu reüssieren, müsste er viele jüdische Jerusalemer überzeugen, die heute 64 Prozent der Stadtbewohner stellen. Vor allem aber muss er die arabischen Wahlberechtigten dazu bringen, keine Eier mehr zu werfen und ihren Boykott zu brechen, mit dem sich 98 Prozent von ihnen bisher selbst aus der Politik ausschlossen.

Kooperation mit der Besatzungsmacht bedeute deren Anerkennung, diese Meinung vertreten vor allem in der älteren Palästinenser-Generation viele. Im Juli bekräftigte der muslimische Großmufti die Ansicht noch einmal in einem Gutachten. Wenn sich Palästinenser bisher zumindest als Kandidaten für den Stadtrat ausprobieren wollten, wurden sie heftig bedroht, spätestens wenn nachts ihr Auto in Flammen aufging, zogen sie bisher immer ihre Kandidatur zurück.

Auch deshalb ist die 850 000-Einwohnerstadt Jerusalem nicht nur ethnisch und religiös geteilt, sondern auch, was die Lebensqualität angeht: Wer vom jüdischen Westen in den arabischen Osten wechselt, merkt sofort, dass hier die Straßen kaum instand gehalten werden, dass die Müllentsorgung nur schlecht funktioniert. Ob daran Diskriminierung durch die jüdische Mehrheit schuld ist oder der Umstand, dass sich die Palästinenser der Mitarbeit in der Kommune verweigern - ein Streit, fast so ewig wie die Stadt selbst.

"Genug ist genug", sagt Abu Sarah nun aber nach den Eierwürfen, "wir werden für unsere Rechte einstehen. Für das Recht, hier zu sein, für unser Recht, in Jerusalem zu existieren." Gemeinsam mit anderen jungen Palästinensern hat er die Liste "Quds Lana" gegründet, "Jerusalem für uns" - und hofft, bei der Wahl Ende Oktober vier bis fünf Kandidaten in den Stadtrat zu bekommen. Wer ihn zum Nahostkonflikt im Allgemeinen befragt, bekommt eindeutige Antworten, im Wahlkampf will sich Abu Sarah jedoch auf Jerusalemer Bedürfnisse konzentrieren. Er will 20 bis 30 Prozent seiner arabischen Mitbürger an die Urnen locken, das werde "sehr hart, sehr emotional", sagt Abu Sarah. Er will ihnen erklären, dass es besser sei mitzubestimmen, "als zuzusehen, wie unsere Steuergelder verwendet werden, um neue Siedlungen zu bauen".

Veränderungen auf politischem Wege erreichen zu wollen, das musste Abu Sarah erst lernen. Als 1988 die erste Intifada ausbrach, warf er schon als Achtjähriger Steine. Sein Bruder wurde damals elf Monate von israelischen Sicherheitskräften festgehalten und starb kurz darauf, wohl an Spätfolgen der Haft. Erst, als Abu Sarah als Vorbereitung für die Universität Hebräischkurse belegte, lernte er Israelis auch als Zivilisten kennen und freundete sich mit einigen an. Heute hat er als Mitbesitzer einer Tourismusagentur arabische und jüdische Angestellte, "gar kein Problem". Würde er gewählt, wäre er der erste Bürgermeister Jerusalems seit der israelischen Eroberung des Ostteils 1967, "der beide Sprachen fließend spricht".

Zuvor muss Aziz Abu Sarah jedoch einen juristischen Kampf bestehen, der einmal mehr die verworrenen Realitäten in der umstrittenen Stadt belegt: Als Araber aus Ostjerusalem hat er den Status eines "permanenten Einwohners" - und damit nach israelischem Recht nur das aktive, nicht das passive Wahlrecht. Dagegen hat er nun am Obersten Gericht Beschwerde eingelegt.

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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