Seine Mutter ist gekommen, der Vater umarmt ihn, die Tante winkt ihm zu, auch die Schwester schaut später noch vorbei: Wenn Ayman Odeh in seiner Heimatstadt Haifa auftritt, dann findet sich die ganze Verwandtschaft ein. Natürlich sei sie stolz, sagt seine Mutter, gesteht aber auch, dass ihr der Aufstieg ihres Sohnes in der israelischen Politik zugleich Sorge bereitet. Er exponiere sich in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft.
Der 45-jährige Jurist ist der wortgewaltige, charismatische Anführer der Vereinigten Liste der vier arabischen Parteien, die am Montag bei der Parlamentswahl ihr historisch bestes Ergebnis erzielt hat. So viele arabische Abgeordnete wie noch nie werden in der aus 120 Mitgliedern bestehenden Knesset vertreten sein: 15, darunter fünf Frauen. Die Vereinigte Liste ist nach Likud und Blau-Weiß die drittstärkste Fraktion. Kommt es zu einer großen Koalition, wird Odeh der Oppositionsführer, ein Mann also, der sich selbst "als Palästinenser, der gleichzeitig Bürger Israels ist", bezeichnet. Das Time Magazine reihte ihn im Vorjahr unter die 100 Zukunftshoffnungen weltweit ein.
Für arabische Israelis, die ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, ist es schwierig, einen Aufstieg zu schaffen - erst recht als Politiker in einem Staat, der sich im Nationalstaatsgesetz als jüdisch definiert und Arabisch als Zweitsprache verbannt hat. Bei dieser dritten Parlamentswahl binnen eines Jahres haben nicht nur arabische, sondern auch jüdische Israelis für die Liste gestimmt - als linke Alternative zum Bündnis aus Arbeitspartei und Meretz.
Teil der Vereinigten Liste ist die von Odeh seit 2015 geleitete Chadasch, die sich wiederum aus sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen zusammensetzt. 1992 unterstützte Chadasch die Regierung von Jitzchak Rabin, ohne offiziell Teil der Koalition zu sein. Zur Allianz gehören aber auch die arabisch-nationalistische Parteien Taal und Balad, die vor Gewaltaufrufen nicht zurückschrecken.
Der etwas bullig wirkende, aber pragmatisch agierende Odeh muss dieses Parteienbündnis zusammenhalten. Nicht alle Abgeordneten seiner Liste sind ihm gefolgt, als er vergangenen September empfahl, Benny Gantz zum Ministerpräsidenten zu wählen. Der Chef von Blau-Weiß rühmte sich im Wahlkampf seiner Rolle als Generalstabschef der Armee im Gazakrieg, bei dem mehr als 1000 Palästinenser umkamen. Für Odeh hatte jedoch das Ziel, die Amtszeit von Benjamin Netanjahu zu beenden, Priorität; deshalb engagierte er sich für Gantz.
Odehs Enttäuschung war deshalb groß, als Gantz vor dieser Wahl eine Koalition mit der Vereinigten Liste ausschloss. Es gilt in Israel noch immer als politisch nicht vermittelbar, dass Araber einer Regierung angehören. Netanjahu hat dieser Bevölkerungsgruppe im Wahlkampf pauschal Betrug unterstellt und davor gewarnt, sie würde bei Wahlen einem "Herdentrieb" folgen. Diesmal strömten die arabischen Israelis tatsächlich in Scharen zu den Urnen und trugen entscheidend dazu bei, dass Netanjahu die Mehrheit für eine rechte Regierung fehlt. Der von US-Präsident Donald Trump präsentierte Nahostplan trug zur Mobilisierung bei.
Odeh, der seit fünf Jahren Abgeordneter ist und zuvor im Stadtrat von Haifa saß, befürwortet eine Zwei-Staaten-Lösung und die Kooperation von Juden und Arabern. Gewalt verurteilt er. Als Jugendlicher war er jedoch an Auseinandersetzungen beteiligt und geriet deshalb ins Visier des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet. Als 16-Jähriger wurde er mehrmals vernommen. Danach zog er sich immer mehr zurück und wurde depressiv. Sein Vater schlug ihm vor, sein Jurastudium in Rumänien zu absolvieren und "mit einem Lächeln zurückzukehren". Das tat er und heiratete danach eine Ärztin, mit der er nun drei Kinder hat. Sie beschreibt ihn als "unerschütterlichen Optimisten, der an Dialog und Gestaltungskraft von Politik glaubt".