Profil:Anna Muzychuk

Lesezeit: 2 min

Schachweltmeisterin, die nicht in Saudi-Arabien spielt, weil sie sich nicht anpassen will.

Von Dunja Ramadan

Noch vor zwei Jahren galt das Schachspiel in Saudi-Arabien als Sünde. Es sei eine Zeitverschwendung und führe zu Rivalität zwischen den Spielern, sagte der umstrittene Großmufti und Präsident der Religionspolizei Abd al-Aziz ibn Abdullah al-Scheich in einem TV-Interview. Außerdem sei es eine Art Glücksspiel, behauptete er und verwies auf eine Sure im Koran, die das Glücksspiel als "Werk Satans" bezeichnet. Doch für sein Rechtsgutachten scheint sich das Königshaus nicht mehr zu interessieren: Saudi-Arabien ist erstmals Gastgeber für ein hochkarätiges Schachturnier. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass die ultrakonservativen Kleriker immer weniger zu sagen haben.

Doch die allmähliche Öffnung des wahhabitischen Königreichs beeindruckt die zweifache Schachweltmeisterin Anna Muzychuk kaum. Die 27-jährige Ukrainerin sagt ihre Teilnahme in Riad ab - und verzichtet damit auf die Möglichkeit, ihre Weltmeistertitel im Schnell- und im Blitzschach zu verteidigen. Sie begründete ihre Entscheidung mit der Art und Weise, wie sie sich als Frau in Saudi-Arabien verhalten müsste. Auf Facebook schrieb sie: "In wenigen Tagen werde ich zwei Titel verlieren. Einfach aus dem Grund, dass ich beschlossen habe, nicht nach Saudi-Arabien zu reisen. Weil ich mich nicht anpassen möchte, keine Abaya tragen möchte, nicht nur in Begleitung rausgehen möchte und mich insgesamt nicht wie eine zweitrangige Kreatur fühlen möchte." Abayas sind lange, mantelartige, meist schwarze Umhänge, die oft in Kombination mit einem Kopftuch oder gar einem Gesichtsschleier getragen werden. Spieler aus Israel, Iran und Katar verzichteten ebenfalls auf eine Teilnahme an dem Turnier in Riad - auch weil sie teilweise nur eine sehr geringe Chance hatten, überhaupt eine Einreisegenehmigung zu bekommen.

Im März dieses Jahres war Muzychuk zu einem Turnier in das schiitische Iran gereist. Dort müssen alle Frauen ihr Haar bedecken. Das Tragen eines Kopftuchs habe ihr damals schon gereicht, schreibt Muzychuk. Am meisten rege es sie auf, dass das Thema niemanden wirklich zu interessieren scheine.

Wenn Weltmeisterschaften in theokratisch-autoritären Systemen abgehalten werden, hat das oft pragmatische Gründe. Den Weltschachverband überzeugten offenbar finanzielle Argumente. Nahost-Experte James Dorsey von der University of Singapore sagte, Saudi-Arabien sei als Gastgeberland ausgewählt worden, nachdem es dem Weltschachverband einen Scheck über 1,5 Millionen Dollar ausgestellt habe - vier mal so viel wie die normale Jahresgebühr.

Immerhin: Für die Frauen lockerten die Saudis die Kleidervorschriften, zumindest beim Wettkampf. Statt der Abayas dürfen die Spielerinnen blaue oder schwarze Anzughosen und hochgeschlossene Blusen tragen. An dem Turnier, das bis Samstag läuft, nehmen Spielerinnen und Spieler aus 70 Ländern teil.

© SZ vom 28.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: