Profil:Anja Seibert-Fohr

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(Foto: Privat)

Richterin, die sich um Menschenrechte kümmert.

Von Wolfgang Janisch

Bei der Anhörung der Kandidaten für das hohe Richteramt ist Anja Seibert-Fohr gefragt worden, ob sie sich das vorstellen könne, mit so vielen Richtern aus so vielen verschiedenen Ländern zusammenzuarbeiten. Vermutlich war es die Frage nach der Teamfähigkeit der Wissenschaftlerin, aber darauf hatte sie eine Antwort parat. In diesem Punkt werde es eher einfacher, falls sie zur Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewählt würde - das war das Amt, um das sie sich beworben hatte. Denn am Gerichtshof in Straßburg gebe es nur 47 Richter aus 47 Staaten; im Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, wo sie fünf Jahre lang ebenfalls so etwas wie eine Richterin und zeitweise sogar Vizepräsidentin war, seien es rund 170 gewesen. Sie hätte noch hinzufügen können, dass sie die Hälfte der Straßburger Richter längst persönlich kannte, von Projekten. Jedenfalls bekam Seibert-Fohr den Job.

Tatsächlich ist die 50 Jahre alte Professorin aus Heidelberg auf ihr Amt als deutsche Richterin am Menschenrechtsgerichtshof, das sie am 1. Januar antritt, eindrucksvoll vorbereitet. Genau genommen hat sie mit der Vorbereitung bereits als Schülerin begonnen. Ihr Vortrag, mit dem sie sich bei der Studienstiftung des deutschen Volkes um ein Stipendium beworben hatte, handelte damals vom internationalen Menschenrechtsschutz. Und diesen Menschenrechten sollte sie fortan treu bleiben, auch in Zeiten, in denen dieses Gebiet unter Jurastudenten nicht so hipp war wie, sagen wir, internationales Wirtschaftsrecht. Während des Studiums absolvierte sie einen Kurs am René-Cassin-Institut für Menschenrechte in Straßburg; ihre Masterarbeit an der George-Washington-Universität handelte vom Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte; und ihre Promotion wurde von Tom Buergenthal betreut, damals Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Eine ziemlich gerade Linie also, die sie zunächst auf den Posten der Direktorin des Instituts für Völkerrecht und Europarecht in Göttingen führte. Seit 2016 hat sie eine Professur an der Uni Heidelberg inne - für öffentliches Recht, Völkerrecht und, klar, Menschenrechte.

Nach Renate Jaeger und Angelika Nußberger ist Seibert-Fohr die dritte Frau in Folge, die den deutschen Richterposten am Gerichtshof innehat. Der Posten fordert wegen der hohen Verfahrenslast die ganze Frau; von ihrem Lehrstuhl wird sie für die neunjährige Amtszeit beurlaubt. Die Mutter von drei Kindern wird nach Straßburg ziehen und nur am Wochenende zur Familie nach Heidelberg pendeln.

Die Zeiten für den Gerichtshof, der für ein großes Europa mit den 47 Staaten des Europarats verantwortlich ist (also nicht zu verwechseln mit dem obersten EU-Gericht), sind kompliziert geworden. Immer wieder gab es Absetzbewegungen beispielsweise von Russland oder der Türkei, aber noch halten die Staaten dem Menschenrechtsgerichtshof die Stange. "Das hat auch etwas mit ihren Legitimitätsvorstellungen zu tun", sagt Seibert-Fohr im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Die Menschenrechte haben so viel Renommee, dass sich kaum ein Staat dazu durchringt, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention auszutreten." Das ermögliche es dem Gerichtshof, korrigierend einzugreifen. Ähnliches habe sie im UN-Menschenrechtsausschuss beobachtet. "Selbst diejenigen, denen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden, haben die Menschenrechte als solche nicht in Abrede gestellt."

Und wie sollte der Gerichtshof agieren, wenn ihm die Autokraten grollen - forsch oder vorsichtig? Für Seibert-Fohr ist das die falsche Frage. Gewiss, manchmal müsse das Gericht eben auch deutlich werden. Entscheidend sei aber, dass man stets mit demselben Maß messe, egal, ob es um Russland oder um Aserbaidschan gehe. "Dann kann es keine Rolle spielen, ob es ein großes oder kleines Land ist. Im Europarat sind alle gleich, was die Menschenrechte anbelangt."

© SZ vom 31.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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