Pressefreiheit:Pekings neue Welt

China weist zahlreiche Korrespondenten der großen US-Medienhäuser aus. Damit begibt sich die Regierung auf gefährliches Terrain, denn sie sendet das Signal an die Welt: Der kritische Blick passt nicht mehr zum System. Und das wird auch von Investoren und Handelspartnern verstanden.

Von Stefan Kornelius

China hat das Duell um Vorherrschaft mit den USA um eine interessante Variante bereichert: Es geht jetzt um die Frage, was eigentlich die Wahrheit ist und wie darüber berichtet werden kann. Wer wirkt zum Wohl der Welt? Wer hat das bessere System? Wer definiert Werte? Der Kampf um die Deutungshoheit ist entbrannt - und er wird zunächst auf dem Rücken von Journalisten ausgetragen, ablesbar an der Zahl der wechselseitigen Ausweisungen von Korrespondenten.

Es ist richtig, dass die USA in diesem eskalierenden Konflikt den ersten Stein geworfen haben. Washington hat Mitte Februar den Mitarbeitern von fünf staatlichen Mediendiensten Chinas die Rechte der Auslandspresse in den USA entzogen und sie stattdessen als staatliche Funktionäre eingestuft. Die Begründung ist nachvollziehbar: Die chinesische Regierung hat über diese zentral gelenkten Medienorganisationen Hunderte Funktionäre in die USA geschickt, die nicht zuletzt nachrichtendienstlich gearbeitet haben.

Allerdings war mit dieser Entscheidung die Eskalation vorgezeichnet. Wenn Washington am Heiligtum Pressefreiheit rührt und das Definitionsrecht über die Arbeit eines Korrespondenten ausübt, dann liefert es exakt die Vorlage, auf die Peking schon lange gewartet hat. Denn was berichtenswert ist und welche Meinungsfreiheit nach chinesischem Verständnis von Journalismus zulässig ist, das mag die Zentralregierung auch ganz gerne selbst bestimmen.

Die Ausweisungswelle hat nun die großen US-Medienhäuser erreicht. Die relevanten Zeitungen werden vermutlich die meisten ihrer Berichterstatter abziehen müssen. Ihre Korrespondenten haben mit wichtigen Recherchen über die Umerziehungslager in Xinjiang oder über den Virusausbruch in Wuhan geglänzt. Die Ausbruchs-Chronologie des Wall Street Journals liefert detaillierte Belege, die bei der Aufarbeitung der Pandemie nicht ignoriert werden können. Die Ausweisungspolitik passt ins Bild eines zunehmend repressiv agierenden Systems. Der Propagandadruck im Inneren wächst mit der Krise, die Zensur ist unerbittlich. Freie Informationsquellen - Anwälte oder nicht staatliche Organisationen - versiegen. Auslandskorrespondenten, einst wichtige Impulsgeber für die Zentralmacht und Frühwarnsysteme für Missstände im Land, spüren den Druck, selbst wenn sie nicht gleich ausgewiesen werden. Der Club der Auslandspresse spricht von Einschüchterungen "wie nie zuvor", immer mehr Korrespondenten erhalten ihre Arbeitsvisa nur noch für kurze Zeit ausgestellt, darunter auch die Süddeutsche Zeitung.

Die chinesische Regierung begibt sich mit dieser Medienpolitik auf gefährliches Terrain. Wird die Berichterstattung eingeschränkt oder unmöglich gemacht, sendet das ein klares Signal über den Umgang mit der Welt. Dieses Signal wird auch von Investoren und Handelspartnern verstanden. China will nach eigenen Regeln spielen, der kritische Blick passt nicht mehr zum System.

Schon immer war die freie Presse das erste Opfer auf dem Weg in eine repressive Ordnung. Chinas Führung will die Deutungsmacht über seine Taten und die Zustände im eigenen Land. Diesen Gefallen wird man ihr nicht tun können. Neben den ungezählten Konflikten mit Peking kommt nun ein sehr grundsätzliche Thema auf die Agenda: die eigene Meinungsfreiheit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: