Präsidentschaftswahlen:Neustart für Nigeria

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Die Präsidentschaftswahlen in Nigeria wecken Hoffnungen auf mehr Demokratie. Doch es ist keineswegs sicher, dass Goodluck Jonathan, der alte und neue Präsident, das Land auf Dauer voranbringen kann.

Tim Neshitov

Things fall apart" heißt der Debütroman des meistgelesenen afrikanischen Schriftstellers Chinua Achebe aus dem Jahr 1958. Er schildert darin, wie einst die Ankunft der Kolonialherren die traditionelle Gesellschaft Nigerias zerriss. Verunsicherung und Gewalt waren das Ergebnis - eine zusammengewürfelte Nation ohne Vergangenheit, auf der Suche nach einer Zukunft. Die Geschichte des Zerfalls hat sich in dem afrikanischen Land fortgesetzt: die Jahrzehnte voller Chaos nach der Unabhängigkeit 1960, mit immer wieder putschenden Militärs, das qualvolle Scheitern des Staates nach dem Übergang zur Demokratie vor zwölf Jahren. Aber nun soll Schluss sein mit dem Zerfall, mit dem ethnischen Neid und religiösen Hass. "Konsolidierung" lautet eine der meist benutzten Parolen im diesjährigen Wahlkampf.

Sein Wahlsieg in Nigeria gilt als sicher: Goodluck Jonathan. (Foto: AFP)

Er sei glücklich, "dass wir die Demokratie konsolidieren", sagte Präsident Goodluck Jonathan. Es gibt Anzeichen dafür, dass es mehr als eine obligatorische Sprechblase ist. Das liegt zum einen im Verlauf des Wahlmarathons begründet. Sowohl die Parlamentswahl vor einer Woche als auch die Präsidentschaftswahl am Samstag sind offenbar fair gewesen, was auch die Beobachtergruppen im Land finden. Die Parlamentswahl musste zwar wegen fehlender Wahlzettel zweimal verschoben werden. Aber leere Wahlzettel, die später als geplant eintreffen, sind besser als ausgefüllte Wahlzettel, die oft verschwinden - wie es 1999, 2003 und 2007 der Fall war. Es spricht für den Chef der Unabhängigen Wahlkommission, Attahiru Jega, dass er fälschungssichere Zettel in Europa drucken lies und 73 Millionen Wähler registrieren konnte. Und es spricht für Präsident Jonathan, dass er den angesehenen Juraprofessor als Wahlaufseher berief.

Natürlich gehört eine Portion Zynismus dazu, eine Wahlsaison als Erfolg zu feiern, bei der landesweit Bomben explodieren und mindestens ein Dutzend Menschen ums Leben kommen. Aber demokratische Wahlen mit Todesopfern sind besser als manipulierte Wahlen mit Todesopfern. Außerdem haben sich die beiden gefährlichsten Unruhestifter im Land - die Terror-Islamisten im Norden und die unberechenbaren Rebellen im Nigerdelta - am Samstag, dem symbolisch wichtigsten Tag der Wahlserie, mit Anschlägen zurückgehalten.

Ein weiteres Anzeichen für den demokratischen Fortschritt in Nigeria ist die Abkehr von der stammespolitischen Nabelschau. Während der blutigen Wahlkrise in der Elfenbeinküste versuchte Amtsinhaber Jonathan seine Heimat als eine Regionalmacht mit Vorbildfunktion zu profilieren. Als Konsequenz kündigte er an, das Wahlergebnis im eigenen Land auf jeden Fall zu akzeptieren - und falls nötig das Amt aufzugeben. Das klingt nach Abschied von der afrikanischen Tradition der "starken Männer", die Machtverzicht als Schwäche betrachten.

Doch nach Auszählung der Stimmen in 35 der 36 Bundesstaaten Nigerias liegt der Amtsinhaber klar in Führung. Es gilt jetzt als sicher, dass Jonathan die Wahlen gewinnt, ein Christ aus dem Nigerdelta. Sein Hauptgegner war Muhammadu Buhari, ein Moslem aus dem Norden, der Nigeria bereits als Putschgeneral regiert hat. Doch es bleibt unklar, ob Jonathan das Land auf Dauer voranbringen kann. Erstens könnte sein Sieg das unausgesprochene Rotationsprinzip zwischen Moslems und Christen innerhalb der Regierungspartei stören. Zweitens wäre er eine la me duck, da seine Partei bei der Parlamentswahl Verluste einstecken musste. Drittens hat Jonathan im Wahlkampf nicht klar gemacht, wie er gegen Korruption und für Wirtschaftswachstum kämpfen will. Stattdessen lud er das Volk ein, "immer Gutes über Nigeria zu sagen und zu denken".

Nigeria bleibt ein Land der Superlative: Der größte Ölproduzent und bevölkerungsreichste Staat Afrikas, in dem 70 Prozent der Menschen arm sind. Diese Wahl drückt Sehnsüchte aus: nach Demokratie und internationaler Geltung.

© SZ vom 18.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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