Post von Sigmar Gabriel:"SPD ist in einem katastrophalen Zustand"

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Seltenes Zeugnis der Offenheit und Selbstkritik: Der künftige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel zeigt in einer E-Mail an die gefrustete Basis die Fehler seiner Vorgänger auf.

Dirk Graalmann

Das Ende des Schreibens ist wenig erbaulich: "Die Früchte unserer Arbeit", so der Autor, "wird wohl eher die nach uns kommende Generation von Sozialdemokraten ernten." Der Absender der E-Mail heißt Sigmar Gabriel.

Der künftige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel schreibt der gefrusteten Basis. (Foto: Foto: dpa)

Der designierte SPD-Parteichef hat in jüngster Zeit eine Reihe von Briefen der gefrusteten Basis bekommen, seine prompte Antwort ist ein in der gern verschwurbelten, abwägenden politischen Phrasenfabrik seltenes Zeugnis der Offenheit und selbstkritischen Analyse.

Befriedigung bei der Basis

"Unsere SPD", konstatiert der Frontmann markig, "befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Wir werden lange brauchen, uns davon zu erholen." Die Partei benötige nun zuvorderst eine "ruhige und ehrliche Analyse" der Regierungszeit, aber auch eine Aufarbeitung "des Zustands der Parteiorganisation in den letzten 20 Jahren (!)".

An der Basis nimmt man die klaren Worte befriedigt zur Kenntnis. Es sei "absolut positiv, dass jetzt auch an der Spitze der Finger in die Wunde gelegt wird", sagt etwa Volker Rockel, 55, aus dem bayerischen SPD-Ortsverein Seefeld, der zu den Empfängern gehört. "Weil Gabriel offen mit der Situation umgeht, gewinnt er an Glaubwürdigkeit", so Rockel. "Es ist spürbar, dass Sigmar Gabriel auf die Basis zugeht."

So fordert der 50-Jährige in seinem Brief "eine richtige Strukturreform der SPD", mit der "wir vor allem wieder Meinungsbildung von unten nach oben

schaffen (ohne politische Führung abzuschaffen)". Dabei stellt Gabriel etwa das Mittel der Urabstimmung "ab und an bei wichtigen Entscheidungen" in Aussicht. Weitere Vorschläge wolle man auf dem Bundesparteitag Mitte November in Dresden unterbreiten, der ein "Startschuss" sein solle. Die SPD, formulierte Gabriel in bedauerndem Ton, sei "zu einer Partei geworden, in der die Mitglieder meist zu Förder-Mitgliedern degradiert wurden: ohne jeden wirklichen Einfluss". Eigentlich aber, schreibt Genosse Gabriel selbstkasteiend, sei Politik doch "führen UND sammeln. In den letzten Jahren haben wir nur geführt, nie gesammelt".

Einer derjenigen, die man dabei vergaß, ist Hein Klein, Vorstand im SPD-Ortsverein Offenbach-Bieber. Der 67-Jährige ist es leid, "eine Führung zu haben, die selbstherrlich und nach Gutsherrenart Politik macht", wie er Gabriel zuvor schrieb. Schließlich seien es die Genossen an der Basis, die sich im Wahlkampf "an Infoständen anpöbeln lassen".

Seine grundsätzliche Haltung bekundete Klein in Versalien: "Wir sind die Partei." Auch der ewige Genosse Klein, der Partei seit 1952 verbunden, findet die Antwort Gabriels "einen positiven Anfang". Nun aber komme die Zeit, wo man "den markigen Worten auch konkrete Taten folgen lassen" müsse. So lange arbeite Gabriel "quasi auf Bewährung".

Viel kaputtgegangen

Es ist zu viel kaputtgegangen in der innerparteilichen Beziehung, als dass der schleichenden Entfremdung nun sogleich Liebesschwüre folgen könnten. Die Gräben zwischen Linken und Rechten wie zwischen Basis und Führungsspitze sind abgrundtief.

"Die Wahrheit ist doch", schrieb Gabriel, "dass sich die SPD in den letzten Jahren tief gespalten hat in Flügel." Und so hat sich der baldige Parteivorsitzende höchstselbst die Rolle als versöhnender SPD-Blauhelm zugedacht: "Wenn wir die SPD nicht endgültig zerstören wollen als Volkspartei, dann muss damit endlich Schluss sein."

© SZ vom 22.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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