Politischer Umbruch im Jemen:Jemens Präsident Salih tritt ab - droht ein Bruderkrieg?

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Die Proteste zeigen Wirkung: Jemens Präsident Salih tritt zum Jahresende ab - und warnt vor einem Bürgerkrieg. Will die Opposition überhaupt Demokratie, droht der Zerfall des Landes und muss die Weltgemeinschaft erneut intervenieren?

Von Kathrin Haimerl und Michael König

Die Weltöffentlichkeit blickt auf Libyen. Doch im Jemen hat sich die Lage in den vergangenen Tagen dramatisch zugespitzt: Nach der blutigen Niederschlagung der Proteste durch die Sicherheitskräfte am vergangenen Freitag erklärten sich Teile der Armee solidarisch mit den Demonstranten - darunter ist auch der Halbbruder des Präsidenten Ali Abdullah Salih, General Ali Mohsen Salih, der als zweitmächtigster Mann des bitterarmen Landes gilt.

Proteste im Jemen - in Bildern
:Die Wut der Massen

Proteste auf dem Platz des Wandels: Seit Wochen fordern die Demonstranten in der jemenitischen Haupstadt Sanaa nach dem Vorbild anderer arabischer Länder den Rücktritt von Präsident Salih. Die Bilder.

Analysten schließen nicht aus, dass sich die Teile der Armee, die sich gegen den Staatschef stellen und Salih-treue Einheiten einen blutigen Kampf liefern werden. Der um seine Macht kämpfende Staatschef schürt Ängste vor einem solchen Szenario: Es werde zu einem blutigen Bürgerkrieg kommen, sollten Kräfte versuchen, durch einen Staatsstreich an die Macht zu kommen, sagte Salih am heutigen Dienstag vor Befehlshabern der Armee.

Wer steckt hinter den seit Wochen andauernden Protesten? Welche Rolle spielt das Militär? Und: Muss die internationale Gemeinschaft eingreifen? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Oman, Jemen, Marokko und Bahrain
:"Wahre Kriegsszenen"

Brennende Autos im Oman, geballte Fäuste im Jemen, Demonstranten in Marokko und in Bahrain: Am Wochenende kam es in mehreren Ländern in Nordafrika und im Nahen Osten zu Ausschreitungen - die Bilder.

An diesem Dienstag hat der jemenitische Präsident Ali Abdullah Salih seinen Rückzug angekündigt: Salih, der das Land seit 1978 regiert, teilte über seinen Sprecher der Nachrichtenagentur AP mit, dass er die Macht bis Jahresende abgeben werde. Der Staatschef zieht damit offenbar die Konsequenz aus den wochenlangen Protesten. Offen ist, ob dieser Schritt des Präsidenten der Opposition ausreichen wird: Sie fordert den sofortigen Rücktritt des 69-jährigen Salihs.

Er regiert seit 1978 den Jemen mit harter Hand: Präsident Ali Abdullah Salih. (Foto: Reuters)

Der Staatschef hatte unter dem andauernden Druck der Proteste bereits zuvor Zugeständnisse angekündigt, unter anderem seinen Verzicht auf eine weitere Kandidatur im Jahr 2013 sowie ein Referendum über eine neue Verfassung. Den Demonstranten ging dies nicht weit genug. Am vergangenen Freitag war die Situation eskaliert: Sicherheitskräfte eröffneten das Feuer auf Demonstranten in Sanaa, mehr als 50 Menschen kamen dabei ums Leben, Salih verhängte daraufhin den Ausnahmezustand.

Aus Protest gegen die blutige Unterdrückung traten am Wochenende mehrere Minister zurück. Am Montag wandten sich neben Botschaftern und Stämmen zudem fünf Generäle von Salih ab. An ihrer Spitze steht General Ali Mohsen al-Ahmar Salih, ein Halbbruder des Präsidenten und Kommandeur der nordwestlichen Militärregion, zu der die Hauptstadt Sanaa gehört. Verteidigungsminister Mohammad Nasser Ali hingegen sagte dem Staatschef die Loyalität der Streitkräfte zu.

Auf dem Tagheer-Platz im Zentrum Sanaas campieren seit fast vier Wochen Tausende Anhänger der Opposition. In den vergangenen Wochen kam es in der jemenitischen Hauptstadt und anderen Städten des Landes immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Opposition und Polizei sowie Anhängern Salihs. Es sind insbesondere die Jugendlichen, die nach dem Vorbild der Proteste in den anderen arabischen Ländern auch im Jemen auf die Straße gehen. Die Arbeitslosenrate liegt nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters bei 35 Prozent.

Der Jemen gilt als eines der ärmsten Länder der arabischen Welt: 40 Prozent leben von weniger als zwei Dollar pro Tag, zudem gehen die Wasserreserven zur Neige. Fast zwei Drittel der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt, was der Protestbewegung zusätzlichen Auftrieb verleiht. Neben dem Rücktritt von Präsident Salih fordern sie demokratische Reformen, eine Militärregierung lehnen sie ab. Doch die Opposition ist unübersichtlich, denn auch andere nutzen die Schwäche der Staatsgewalt für sich: Am Montag eroberten schiitische Houthi-Rebellen im Nordjemen eine Stellung der Armee in der Provinz Dschauf (Jawf) zurück.

General Ali Mohsen Salih erklärte sich am gestrigen Montag solidarisch mit den Demonstranten. Lange Zeit galt Salih als zweitmächtigster Mann des Jemen. Er kommandiert den nordwestlichen Militärbezirk des Landes, zu dem die Hauptstadt Sanaa gehört, und in der 1. Panzerdivision untersteht ihm eine der kampfstärksten Einheiten. Unklar ist laut US-Depeschen sein verwandtschaftliches Verhältnis zu Präsident Salih: Einigen Berichten zufolge ist er der Cousin von Salihs beiden Halbbrüdern, in anderen Berichten heißt es, er sei selbst ein Halbbruder des Staatschefs.

Durch seine Erklärung, seine Truppen übernähmen den Schutz der Demonstranten gegen Präsident Ali Abdullah Salih, bietet er sich als starker Mann für ein militärisches Übergangsregime nach ägyptischem Vorbild an oder sogar als Nachfolger, der den Staatschef zum Ausgang komplimentieren könnte. Zwei weitere Generäle schlossen sich Ali Mohsen an, damit stehen fast zwei Drittel der Armee auf der Seite des abtrünnigen Generals.

Vor allem für die Jugend aber ist der General keine Lichtgestalt: Er verkörpert wie sein regierender Halbbruder alle Krankheiten des Jemen. Ali Mohsen hatte Ali Abdullah während der 1970er Jahre zur Macht verholfen, indem er Sanaa für ihn zurückeroberte. Bei der Niederschlagung der Widerstände im ehemals sozialistischen Südjemen (Aden) sowie später, bei der Entsendung von Untergrundkämpfern in den Irak, rekrutierte er militante Islamisten und arbeitete dabei mit Al-Qaida-Führer Osama bin Laden zusammen.

Der jemenitische Präsident Salih hat das Nachbarland Saudi-Arabien um Vermittlung gebeten - dank üppiger Geldgeschenke haben die Saudis im Jemen großen Einfluss. In der Vergangenheit unterstützten die Saudis sunnitische Stammesfürsten im Jemen mit großen Summen, darunter auch solche, die nicht loyal zur Regierung stehen. Arabische Beobachter vermuten, der Wechsel des jemenitischen Generals Ali Mohsen Salih auf die Seite der Aufständischen könne von Riad gedeckt gewesen sein.

Der saudische König Abdullah ist darauf bedacht, die Situation in den Nachbarländern unter Kontrolle zu behalten. Ins nordöstlich angrenzende Königreich Bahrain, wo die schiitische Bevölkerungsmehrheit seit Wochen gegen das sunnitische Königshaus protestiert, entsandte er Tausende Soldaten und machte so deutlich, dass er einen Umsturz dort nicht dulden werde.

Im eigenen Land verfährt Abdullah nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche: Nachdem in den vergangenen Tagen mehrere tausend Menschen auf die Straße gegangen waren, versprach der König ein milliardenschweres Paket sozialer Maßnahmen - unter anderem sollen Wohnungen gebaut und eine monatliche Arbeitslosenhilfe eingeführt werden. Zudem bekommt das Innenministerium mehr Beamte sowie Polizei und Militär mehr Geld.

Im Fernsehen drohte der König allerdings, die Sicherheitskräfte des Landes seien "die Hände, die bereit sind, diejenigen zu schlagen, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität des Landes verschwören".

Mit seiner Ankündigung, Ende des Jahres zurückzutreten, hat Präsident Salih die Wahrscheinlichkeit blutiger Ausschreitungen womöglich verringert. Durch die Führungselite des Landes zieht sich allerdings ein Riss, der durchaus an den Kampf zwischen Rebellen und regierungstreuen Truppen in Libyen erinnert.

Mehrere Generäle und Stammesführer hatten dem jemenitischen Machthaber am Montag die Gefolgschaft aufgekündigt, während Verteidigungsminister Mohammad Nasser Ali dem Staatschef versicherte, das Militär stehe treu zu ihm. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Teile der Armee, die sich gegen den Präsidenten stellen, mit den Salih treuen Republikanischen Garden einen blutigen Kampf liefern werden. Kommandant dieser Spezialeinheit ist der älteste Sohn des Präsidenten, Ahmed Ali Abdullah Salih, der zum Nachfolger des bisherigen Staatschefs aufgebaut werden sollte.

Beobachter verweisen darüber hinaus auf die große Bedrohung, die von den vielen Waffen im Jemen ausgeht: "Dieses Land ist bewaffnet bis an die Zähne", zitiert Reuters den Sicherheitsexperten Theodore Karasik von der Dubai School of Government. Jeder zweite Jemenit nenne Gewehre oder Pistolen sein Eigen. "Wir sind nah an einem Wendepunkt hin zur Gewalt", mahnt Karasik.

Doch während die Revolutionäre in Tunis und Kairo die Einheit ihrer Länder nie in Frage gestellt haben, droht der Jemen zu zerfallen. Denn auch andere Kräfte nutzen die derzeitige Schwäche der Staatsgewalt für sich: Am Montag eroberten schiitische Houthi-Rebellen im Nordjemen eine Stellung der Armee in der Provinz Dschauf zurück. Im Süden, der ehemals kommunistischen Volksdemokratischen Republik Jemen mit der Hauptstadt Aden, trauern viele dem Sozialismus nach. Immer wieder kommt es zu Zusammenstößen zwischen Vertretern der Zentralgewalt und Separatisten.

Sollte die Lage im Jemen ähnlich eskalieren wie in Libyen, die Regierung also etwa mit Kampfflugzeugen auf Zivilisten schießen, droht dem Westen ein Dilemma: Muss die humanitäre Schutzverantwortung, die responsibility to protect, die als Begründungslogik hinter dem Mandat der Vereinten Nationen steht, nicht auch für den Jemen gelten?

In der Theorie dürfte die Antwort wohl positiv ausfallen, in der Praxis gestaltet sich ein militärisches Bündnis allerdings schwierig. Schon in Libyen zeigt sich wenige Tage nach dem Beginn des Einsatzes, dass sich die beteiligten Länder - vorneweg die USA, Frankreich und Großbritannien - über die Führung, Dauer, Ziel und Umfang des Einsatzes nicht einig sind. Massive Kritik kommt von Seiten der arabischen Länder am Ausmaß der Bombardements.

Schon im Falle Libyens hat es lange gedauert, bis sich der UN-Sicherheitsrat zu einer Resolution durchringen konnte. Dabei dürfte auch die geostrategische Position des nordafrikanischen Landes eine Rolle gespielt haben: Libyen hat große Ölvorkommen, die dortige Krise trieb die Preise weltweit in die Höhe. Machthaber Gaddafi war als Handelspartner nicht länger tragbar.

Im Falle Jemens spielen Rohstoffe keine Rolle (die Ölvorkommen des Landes gehen zur Neige), jedoch gilt das Land als mögliche Brutstätte des Terrornetzwerks al-Qaida. Vor allem die USA dürften darauf bedacht sein, den Einfluss der Terroristen dort nicht wachsen zu lassen.

Manch ein westliches Land könnte sich jedoch auf eine Argumentationslinie zurückziehen, wie sie Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bei der deutschen Enthaltung in der Libyen-Frage vorgelegt hat: "Ich bitte auch in einem solchen Augenblick, wo einem das Herz schwer ist, wenn man solche Bilder sieht, immer zu bedenken, dass wir Deutsche nicht mit deutschen Soldaten überall in Ländern der Welt eingreifen können, wo Unrecht geschieht."

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