Polen:Eklat um Auschwitz-Gedenken

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Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem: Man verweigere ihm, dort zu reden, so Andrzej Duda zu seiner Absage. (Foto: Ronen Zvulun/REUTERS)

Präsident Andrzej Duda sagt ab: Er will nicht an der Gedenkfeier in Jerusalem zum 75. Jahrestag der KZ-Befreiung teilnehmen.

Von Alexandra Föderl-Schmid und Florian Hassel, Warschau/Jerusalem

Polens Präsident Andrzej Duda hat seine Teilnahme an der Gedenkfeier in Israel zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz abgesagt. Duda begründete seine Entscheidung damit, dass bei der Veranstaltung am 23. Januar in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem Russlands Präsident Wladimir Putin ebenso sprechen dürfe wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Kronprinz Charles als Vertreter Großbritanniens und voraussichtlich US-Vizepräsident Mike Pence - nicht aber er als Vertreter Polens.

Duda wollte die Gedenkveranstaltung im Vorfeld des Jahrestages unter anderem nutzen, um Russlands Präsidenten auf dessen Rede vom 24. Dezember zu antworten. Da hatte Putin den Hitler-Stalin-Pakt relativiert, der die geheimen Aufteilung Polens enthielt: Andere europäische Länder hätten Ähnliches getan, sagte der russische Präsident. Polen etwa, erläuterte Putin, sei vor Beginn des Zweiten Weltkrieges "in eine Verschwörung mit Hitler" eingetreten, und zwar in Gestalt des polnischen Botschafters in Berlin, Józef Lipski, "einem Drecksack, einem antisemitischen Schwein". Lipski hatte bei einem Gespräch mit Hitler am 20. September 1938 dessen damalige Pläne für eine Deportation europäischer Juden nach Afrika begrüßt und gesagt, für diesen Fall werde Polen Hitler ein schönes Denkmal in Warschau errichten.

Duda erklärte nun, die Abwesenheit einer polnischen Stimme beim "5. Welt-Holocaust-Forum" bedeute auch eine "Verfälschung der Geschichte", weil die meisten in Auschwitz Ermordeten Polen gewesen seien. Dazu erklärte die Gedenkstätte Yad Vashem, die Staatsangehörigkeiten der Opfer von Auschwitz habe keinen Einfluss auf die Staatsangehörigkeiten der Repräsentanten, die bei der Veranstaltung sprechen würden: "Es ist wichtig anzumerken, dass von 1,5 Millionen Opfern des Todeslagers Auschwitz-Birkenau rund 1,1 Millionen Juden waren, die ermordet wurden, einfach weil sie Juden waren, ungeachtet ihrer Herkunftsländer." Es sei auch "angemessen", dass Vertreter der vier Alliierten sprechen, "die Europa und die Welt befreit haben von der mörderischen Tyrannei Nazideutschlands, teilte Yad Vashem mit. Angesichts der besonderen Verantwortung Deutschlands werde auch sein Repräsentant vor dem Forum sprechen. Insgesamt nehmen mehr als 40 Staats- und Regierungschefs sowie hochrangige Vertreter von Institutionen am Welt-Holocaust-Forum teil, es wird die zentralen Gedenkveranstaltung im Vorfeld des 75. Jahrestages der Auschwitz-Befreiung sein.

Yad Vashem ergänzte, Polens Präsident habe seine Teilnahme nie bestätigt und nie angefragt, ob er auf dem Welt-Holocaust-Forum ein Rede halten könne. Israelische Diplomaten sollen Duda Alternativen angeboten haben, doch der Präsident habe darauf gepocht, wie Putin bei dem Forum zu sprechen.

Duda wiederum unterstrich, ihm einen Redeauftritt zu verweigern, treffe das polnische Staatsinteresse, "alle Polen, also uns; diejenigen, die im Krieg Polen gerettet haben - das zielt auf die historische Wahrheit". Die nationalpopulistische Regierung stellt Polen und seine Bürger ausschließlich als Opfer des Zweiten Weltkrieges dar und betont, dass Tausende Polen damals Juden retteten. Das regierungsnahe Institut für nationales Gedenken schickt Wanderausstellungen über polnische Kriegshelden und Retter polnischer Juden nach Brüssel, New York und Ottawa oder ins australische Perth.

Historiker wie Jan Tomasz Gross, Jan Grabowski und Barbara Engelking erforschten auch eine dunklere Seite: Demnach wurde die Zahl polnischer Judenretter weit übertroffen von der Zahl polnischer Hilfspolizisten, Feuerwehrleute, Partisanen und Dorfbewohner, die den Deutschen halfen, mindestens 200 000 vor dem Abtransport in die Gaskammern in Dörfer und Wälder geflohene Juden zu ermorden. Und es gab nicht selten Polen, die ihre jüdischen Nachbarn selbst ermordeten: Antisemitismus war schon vor der Ankunft der Deutschen verbreitet und spielte ebenso eine Rolle wie Habgier nach dem Besitz jüdischer Nachbarn.

Nachdem Grabowski und Engelking ihre Erkenntnisse Anfang 2019 auf rund 1600 Seiten im Forschungsband "Dalej Jest Noc" ("Und immer noch ist Nacht") und im Warschauer Museum zur Geschichte der polnischen Juden vorstellten, löste die Regierung Engelking ab als Vorsitzende des Internationalen Beirats des Staatlichen Museums im ehemaligen KZ Auschwitz-Birkenau. Leitkriterium für die Neubesetzung sei "polnische Empfindlichkeit", erklärte Wissenschaftsminister Jarosław Gowin seinerzeit.

© SZ vom 09.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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