Die Gefahr lauert überall, auch in einem koreanischen Kleinwagen mit getönten Scheiben. Neun polnische Militärpolizisten nehmen das Fahrzeug auf einem Waldweg in die Zange. Zwei Maschinengewehre richten sich auf den Maskierten. "Schau mich an, schau mich an! Keine Bewegung", brüllt einer der Männer.
Als der Fahrer aus dem Auto gezerrt wird, fallen Schüsse aus einem Hinterhalt im Wald. Die Feldjäger erwidern das Feuer, zünden Nebelkerzen und sind nach nicht einmal zwei Minuten mit ihrem Gefangenen verschwunden. "Das war schnell", lobt Zugführer Sztuk, "jeder weiß, was er zu tun hat. Unser Zug ist ein Team, die ganze Nato ist ein Team."
Womit der Pole jene Botschaft zusammenfasst, um die es bei der Übung Noble Jump (Edler Sprung) auf dem polnischen Truppenübungsplatz Żagań geht. Viel Nato-Prominenz ist dafür gekommen, allen voran Generalsekretär Jens Stoltenberg und vier Verteidigungsminister. Die Übung soll zeigen, wie schnell die beim Gipfeltreffen im Herbst 2014 in Wales unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim und des Ukraine-Krieges in Auftrag gegebene superschnelle Speerspitze Realität geworden ist. Die superschnelle Truppe, deren schnellsten Teile binnen 48 Stunden in Marsch gesetzt werden können, existiert seit einigen Monaten provisorisch, nun ist sie erstmals in eine komplette Übung geschickt worden. Den Kern der Truppe bilden Deutsche, Niederländer und Norweger.
Letztlich geht es um das Szenario, das Russland in der Ostukraine entfaltet
"Ich bin beeindruckt von dem, was ich gesehen habe", sagt Stoltenberg nach seinem ersten Besuch bei der übenden Truppe. Er trägt Sakko, schwarze Jeans und helle Wüstenboots. "Ich habe", lobt er, "Soldaten aus neun verschiedenen Nationen gesehen, die wie eins zusammenstehen und zeigen, dass die Nato in der Lage ist, jene Einsatzbereitschaft herzustellen, die wir in einem neuen und stärker fordernden Sicherheitsumfeld brauchen."
Am Tag darauf sitzt Stoltenberg mit der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf einer Tribüne mit Blick auf ein weites Feld, auf dem die neue Truppe demonstrieren soll, was sie kann. Nur fünf Tage hatten 2100 Soldaten Zeit, sich auf ein heikles Szenario vorzubereiten. Es dreht sich um "Birdman", einen Offizier aus dem feindlichen "Bothnien", der eine Truppe gut ausgerüsteter probothnischer Separatisten befehligt. Letztlich ist es das Szenario, das Russland seit vergangenem Jahr im Osten der Ukraine entfaltet. Mit einem Unterschied: Diesmal geht es um ein Nato-Land mit Anspruch auf Beistand seiner Verbündeten.
Im Manöverszenario hat sich Birdman auf dem "Präsidentenhügel" eingerichtet, seine Leute kontrollieren die Umgebung. Birdman festsetzen, die irregulären Truppen aus der Reserve locken und unschädlich machen, lautet die Aufgabe. Was mit einem Einsatz tschechischer und niederländischer Spezialkräfte beginnt, von zahlreichen Hubschraubern und zwei F-16-Jets begleitet wird, mündet schließlich in eine regelrechte Schlacht, in der Soldaten des Panzergrenadierbataillons 371 mit Schützenpanzern vom Typ Marder und unterstützt von Leopard-2-Panzern aus Norwegen den Separatisten zusetzen. Eine Stunde kracht und raucht es auf dem einst kaiserlich-deutschen Truppenübungsplatz, danach sind der Präsidentenhügel und seine Umgebung gesichert.
Studie zur Ukraine-Krise:Bürger in Nato-Staaten stellen Bündnisfall infrage
Was tun, sollte Russland einen östlichen Nato-Partner angreifen? Die Antwort von Befragten einer US-Studie dürfte in Brüssel schlecht ankommen.
"Alles, was wir tun, ist defensiv und verhältnismäßig"
Geschichte sei soeben geschrieben worden, behauptet im Anschluss der polnische Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak. "Wir hatten Gelegenheit, mit eigenen Augen zu sehen, wie die Nato funktioniert und wie die Beschlüsse des Wales-Gipfels umgesetzt werden", schwärmt er. In der Tat ist die Nato in Bewegung wie seit Langem nicht. Noble Jump ist Teil einer Serie mit vier Übungen und insgesamt 14 000 Soldaten, ein noch größeres Manöver folgt im Herbst. Die USA erwägen die Verlegung von schwerem Gerät für 5000 Soldaten in östliche Nato-Länder, was zu heftigen Vorwürfen Russlands geführt hat.
"Alles, was wir tun, ist defensiv, verhältnismäßig und vollständig im Einklang mit unseren internationalen Verpflichtungen", hält Stoltenberg dagegen. Das gelte auch für die mögliche Verlegung von Gerät. Am kommenden Mittwoch, wenn sich in Brüssel die Nato-Verteidigungsminister treffen, werde auch über dieses Thema geredet werden.
Deutlich signalisiert auch von der Leyen Zustimmung. "Das ist eine angemessene, defensive Maßnahme", sagt sie über die Verlegung von US-Gerät nach Osteuropa. Wichtig sei, "dass wir den baltischen Ländern, aber auch Polen, Rumänien und Bulgarien deutlich machen, dass ihre Sorgen auch unsere Sorgen sind und dass wir alle 28 in der Nato für ihren Schutz einstehen". Wegen ihrer geografischen Entfernung müssten die USA Truppen und Gerät nach Europa bringen. Die Deutschen wüssten das gut, schließlich hätten sie viele Jahre davon profitiert. "Wir Deutsche haben nicht vergessen, was es bedeutet, von Freunden geschützt zu sein", sagt sie.
Als deutsche Verteidigungsministerin sage sie deutlich: "Der Artikel 5 gilt." Im Bündnisfall, wie ihn der Nordatlantikvertrag vorsieht, werde Deutschland für die Sicherheit der anderen Nato-Mitglieder einstehen. Denn: "Würden wir das nicht tun, wäre die Nato tot."