Peru:Es kommt auf jede Stimme an

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Sah sich am Montag schon als Sieger, bevor alle Stimmen ausgezählt waren: Der 77-jährige Pedro Pablo Kuczynski wird von seinen Unterstützern in Lima gefeiert. (Foto: Karel Navarro/Bloomberg )

Ein alternder Finanzexperte könnte Perus Präsident werden. Sein Erfolgsgeheimnis? Viele hassen seine Kontrahentin.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Schon in der Nacht zum Montag entstanden die ersten Siegerfotos in Lima - mit euphorischen Gesichtern, hochgestreckten Armen und geballten Fäusten. Sie entstanden allerdings nicht, wie allgemein erwartet, im Lager von Keiko Fujimori, 41, der Tochter des einstigen Präsidenten und heutigen Gefängnisinsassen Alberto Fujimori. Die Bilder stammten vielmehr von der Wahlparty ihres Herausforderers Pedro Pablo Kuczynski. Der 77-Jährige liegt laut den ersten offiziellen Hochrechnungen in der Stichwahl um das Präsidentenamt in Peru mit hauchdünnem Vorsprung vorne. Am Montagmorgen (Ortszeit), als knapp 90 Prozent der Stimmen ausgezählt waren, lag Kuczynski bei 50,5 Prozent. Da fehlten allerdings noch die Ergebnisse der Exilperuaner sowie aus den besonders entlegen ländlichen Landesteilen. Dort erfahren die Fujimoris traditionell große Zustimmung. Der Ausgang der Wahl bleibt also weiter ungewiss. Es kommt wohl auf jede Stimme an.

Kandidatin Keiko Fujimori hat sich für die Verfehlungen ihres berüchtigten Vaters entschuldigt

Als Kuczynski in der Wahlnacht zu seinen jubelnden Anhängern sprach, schlug er deshalb auch keineswegs die Sprache eines Triumphators an, sondern eher die eines zitternden Beobachters. "Wir haben noch nicht gewonnen", warnte er. Und: "Wir müssen aufpassen, dass sie uns nicht die entscheidenden Stimmen am Zähltisch klauen." Der Finanzexperte Kuczynski repräsentiert jene vor allem in der Hauptstadt und Wirtschaftsmetropole Lima ansässige Klientel, die die Fujimoris für eine notorische Räuberbande hält, der alles zuzutrauen ist - selbstverständlich auch eine Manipulation der Auszählung.

Mariano Cucho, der Leiter der nationalen Wahlbehörde, sah sich bereits zu der Feststellung gezwungen, dass seine Behörde unabhängig arbeite. "Es wird keinen Betrug geben", sagte er. Gleichzeitig bat Cucho um Geduld. Bis er ein offizielles Endergebnis verkünden könne, wird es nach seiner Prognose noch bis zum Ende der Woche dauern. Zahlreiche Wahlurnen müssen noch auf Kanus aus schwer zugänglichen Amazonasregionen herbeigeschafft werden.

Egal, was am Ende herauskommt, für Keiko Fujimori war der Wahlsonntag in jedem Fall eine bittere Schlappe. Beim ersten Wahlgang im April hatte sie noch mit fast zwanzig Prozent Vorsprung vor Kucz-ynski abgeschnitten. Jetzt scheint sich die Geschichte der Wahl von 2011 zu wiederholen. Auch damals sah Fujimori zwischenzeitlich schon wie die sichere Siegerin aus. Am Ende unterlag sie im Fotofinish dem ideologisch undefinierbaren Ollanta Humala. Dessen Präsidentschaft endet nun verfassungsgemäß nach einer reichlich verkorksten Amtszeit. Peru aber ist offenbar immer noch nicht bereit für eine Renaissance des Fujimorismo.

Keiko Fujimori wandelte im Wahlkampf auf einem schmalen Grat zwischen Nähe und Distanz zu ihrem so berühmten wie berüchtigten Vater. Der hatte das Land von 1990 bis 2000 teilweise wie ein Diktator regiert, derzeit verbüßt er eine 25-jährige Haftstrafe wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption. Unter dem Siegel der Armutsbekämpfung ordnete Alberto Fujimori unter anderem die Zwangssterilisierung von Hunderttausenden Frauen an, sein Clan war nachweislich in den Drogenhandel verstrickt, vor allem aber führte er einen blutigen Bürgerkrieg, den er mit der Zerschlagung der Terrororganisation Leuchtender Pfad begründete. Gerade in ländlichen Gebieten wird er dafür bis heute als entschlossener Kämpfer gegen Gewalt und Hyperinflation verehrt.

Seine Tochter, die schon in den Neunzigern als First Lady an vorderer Front dabei war, hatte sich zuletzt halbherzig für die "Verfehlungen" dieser Zeit entschuldigt. Gleichzeitig ging sie mit radikalen Parolen auf Stimmenfang, die ganz nach dem Geschmack der Fujimoristas waren: Sie forderte eine Todesstrafe für Kinderschänder und wetterte gegen die Homo-Ehe.

Keiko Fujimori wird in Peru von den einen geliebt und von den anderen gehasst. Ihr Herausforderer Kuczynski löst deutlich weniger Emotionen aus. Wenn er es auf seine alten Tage tatsächlich noch zum Staatspräsidenten bringen sollte, dann nur deshalb, weil er von einer hauchdünnen Mehrheit der Wähler offenbar als das geringere Übel betrachtet wird.

Es ging bei dieser Wahl auch nicht um den in Lateinamerika üblichen Richtungsstreit zwischen extremen linken und rechten Positionen. Kuczynski steht genau wie Fujimori für einen Fortsetzung des neoliberalen Wachstumskurses auf Basis von Rohstoffexporten - ohne Rücksicht auf Verluste für die Natur und die indigene Bevölkerung. Er vermarktet sich und seine treu ergebene Partei unter dem Kürzel PPK und setzt vor allem auf seine Wirtschaftskompetenz als ehemaliger Manager bei der Weltbank sowie beim Internationalen Währungsfonds. In der Vergangenheit war der Cousin des französischen Filmemachers Jean-Luc Godard bereits als Energie- und Finanzminister tätig. In seiner Freizeit spielt er gerne Flöte.

Es ist aber keineswegs so, dass die Peruaner auf diesen Flötenspieler mit seiner schillernden Familiengeschichte gewartet hätten. Kuczynski gilt nicht als Hoffnungsträger, sondern als Fujimori-Verhinderer. Zuletzt hatte sich unter anderem die im ersten Wahlgang knapp ausgeschiedene linke Kandidatin Verónika Mendoza für seine Wahl ausgesprochen - immer noch besser als Keiko, so ihr Tenor. Das könnte Ku-czynski die entscheidenden Stimmen gebracht haben.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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