Peru:Am Rande des Bürgerkriegs

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Präsident Vizcarra wollte die Korruption bekämpfen - das brachte ihm mächtige Feinde, die ihn gestürzt haben. Sein Nachfolger muss ebenfalls schon wieder abtreten.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Peru versinkt immer weiter im Chaos. Nach knapp einer Woche im Amt trat am Sonntag der derzeitige Übergangspräsident des Landes zurück. Er folgt damit dem Druck der Demonstranten, die seit Tagen auf den Straßen Perus seinen Amtsverzicht forderten.

Dabei kam es zu teils schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. In der Hauptstadt Lima hatten sich am Samstagabend tausende Menschen auf einem zentralen Platz versammelt, als die Polizei begann, mit Gummigeschossen und Tränengas in die Menge zu feuern. Demonstranten warfen daraufhin mit Steinen, Farbbeuteln und laut offiziellen Angaben auch mit Brandsätzen. Augenzeugen und lokale Medien sprachen von Straßenschlachten und bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Mindestens drei Menschen sind bei den Protesten schon ums Leben gekommen, dutzende wurden teils schwer verletzt.

Begonnen hatten die Proteste vergangene Woche, als das peruanische Parlament überraschend für eine Absetzung des bisherigen Präsidenten Martín Vizcarra stimmte. Er steht im Verdacht, 2014 Schmiergelder angenommen zu haben bei der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen. Ein rechtskräftiges Urteil gibt es aber nicht, genauso wenig wie überhaupt auch nur konkrete Beweise. Die Anschuldigungen beruhen lediglich auf Aussagen bereits inhaftierter Unternehmer, denen für ihre Zusammenarbeit mit der Justiz wohl Strafmilderung in Aussicht gestellt wurde.

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Das Parlament begründete die Absetzung Vizcarras darum auch nicht mit dessen Bestechlichkeit, sondern lediglich mit seiner angeblichen "moralischen Unfähigkeit". Zwei Drittel der Abgeordneten sprachen sich am Montag vergangener Woche dafür aus, Vizcarra die Macht zu entziehen. Trotz der breiten parlamentarischen Mehrheit im Kongress löste die Entscheidung in der Bevölkerung aber einen Sturm der Entrüstung aus.

Bis zu seiner Absetzung galt Martín Vizcarra als einer der beliebtesten Präsidenten in der jüngeren Geschichte Perus. 2018 hatte er sein Amt angetreten mit dem Versprechen, den Filz aus Vetternwirtschaft, persönlicher Bereicherung und Korruption zu bekämpfen, der die peruanische Politik seit Jahrzehnten durchzieht und lähmt. So gut wie alle Vorgänger Vizcarras im Amt sind heute entweder wegen Bestechung angeklagt oder sie sitzen deswegen in Haft. Und auch das Parlament gilt als höchst korrupt: Gegen mehr als die Hälfte der derzeitigen Abgeordneten laufen Ermittlungen.

Mit einigen substantiellen Reformen wollte Vizcarra die Schmiergeldkultur in der peruanischen Politik bekämpfen, unter anderem sollte die parlamentarische Immunität von Abgeordneten drastisch beschnitten werden. Im Volk brachte ihm das viel Sympathie, im Kongress aber machte sich Vizcarra mit seinen Vorstößen viele Feinde. Schon im September hatten Parlamentarier versucht, dem Präsidenten die Macht zu entziehen. Damals noch ohne Erfolg. Vergangene Woche taten sich dann aber mehrere kleine Parteien des extrem zersplitterten peruanischen Parlaments zusammen und stimmten für eine Absetzung.

Als Haupttreiber galt dabei der bisherige Parlamentspräsident Manuel Merino. Verfassungsgemäß stieg er zum Übergangspräsidenten auf. Die Wut der Demonstranten richtete sich vor allem gegen ihn und den Kongress. "Nicht mein Präsident", stand auf den Schildern bei den Protesten und "Peru ist aufgewacht".

Tatsächlich steckt hinter den Demonstrationen nicht nur der Unmut über die Absetzung eines beliebten Präsidenten. Die Auseinandersetzungen markieren auch das Ende eines scheinbar makellosen Aufstiegs: Über Jahre hinweg boomte Peru, Wohlstand und Wirtschaft wuchsen, vor allem aber junge Menschen bekamen oft nur prekäre Jobs, in denen sie für wenig Geld hart arbeiten mussten. Ein Großteil der Peruaner hat nicht einmal einen festen Anstellungsvertrag und immer wieder lösten tödliche Arbeitsunfälle Proteste aus.

COVID-19 hat den Aufstieg Perus nun endgültig gestoppt. Trotz eines strengen Lockdowns gab es umgerechnet auf die Bevölkerungszahl kaum irgendwo in Lateinamerika so viele Infizierte und Tote. Gleichzeitig ist die Wirtschaft zusammengebrochen. Alleine dieses Jahr soll sie um bis zu 14 Prozent schrumpfen, Tausende haben ihre Jobs verloren und nun kommt zu dem sozialen und ökonomischen Chaos auch noch eine politische Krise.

Es sind vor allem junge Peruaner, die derzeit auf die Straße gehen. Die Polizei geht dabei immer brutaler gegen die Proteste vor. Beamte sollen gezielt auf Demonstranten und Journalisten geschossen haben und dabei nicht nur Gummigeschosse eingesetzt haben, sondern auch Glaskugeln. Amnesty International hat wegen der unangemessenen Gewalt schon protestiert, genauso wie die Vereinten Nationen.

Nachdem die Proteste immer größer wurden, begann auch die Übergangsregierung immer stärker zu wackeln. In der Nacht von Samstag auf Sonntag trat bereits ein Großteil des Kabinetts zurück und selbst Politiker aus der eigenen Partei forderten den Abgang des Interimspräsidenten Manuel Merino. Dieser hat nun dem Druck nachgegeben und am Sonntag seinen Rücktritt eingereicht.

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