Papst Franziskus in Kuba und den USA:Herzensbrecher auf Mission

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Papst Franziskus tritt oft brüsk und undiplomatisch auf, aber er schafft es, mit seiner direkten Art, die Menschen für sich einzunehmen. Wird ihm das auch mit den Castro-Brüdern in Kuba und US-Präsident Obama gelingen?

Von Matthias Drobinski und Oliver Meiler

Die Geschichte dieser längsten und wohl schwierigsten Reise, die Papst Franziskus bislang unternommen hat, beginnt am 18. August 2014. An jenem Montag landet Havannas Kardinal Jaime Ortega in Washington, offiziell, um dort einen Vortrag zu halten. Doch sein Weg führt ins Weiße Haus, es ist ein Termin, der in keiner offiziellen Agenda verzeichnet ist. Ortega hat einen Brief dabei, den er persönlich Barack Obama überreichen soll, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Absender: der Papst. Den gleichen Brief hat der 78-jährige Kardinal, den Fidel Castro einst ins Gefängnis werfen ließ, auch dessen Bruder Raul übergeben: Ob die beiden Länder nicht "humanitäre Fragen von gemeinsamem Interesse" lösen und eine neue Phase in den Beziehungen beginnen könnten?

Schon seit mehr als einem Jahr hatten da Kuba und die USA geheime Gespräche miteinander geführt. Die Briefe bringen den Durchbruch, wie beide Seiten später sagen werden. Im August 2015 nehmen die so lange verfeindeten Staaten wieder diplomatische Beziehungen auf.

Die Friedensbriefe sind der größte diplomatische Erfolg des Vatikans in den vergangenen Jahrzehnten. Entsprechend stolz erzählen sie im Vatikan von der Washington-Reise des kubanischen Kardinals: Seht, Jorge Mario Bergoglio ist ein erfolgreicher Diplomat, auch wenn dem Argentinier das keiner zugetraut hatte, als er vor zweieinhalb Jahren Papst wurde, auch wenn er so oft brüsk, direkt, eben undiplomatisch auftritt.

Der Papst ist als Vermittler, Versöhner, Friedensbringer und Prophet gefragt

Italien
:Himmlische Aussicht

Papst Franziskus bleibt auch im Sommer in Rom. Dort gebe es genug zu tun, sagt er. Und so ist die Sommerresidenz im italienischen Castel Gandolfo erstmals seit 1626 für die Öffentlichkeit zugänglich. Ein Besuch.

Von Oliver Meiler

An diesem Samstag nun fliegt Franziskus von Rom nach Kuba, dort wird er sicher Raúl und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch Fidel Castro treffen. Am Donnerstag spricht er als erster Papst vor dem Kongress in Washington, am Freitag redet er auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Die Reise führt ihn in Welten, die unterschiedlicher nicht sein können. Der Papst als Vermittler, Versöhner, Friedensbringer und Prophet ist gefragt wie bei keiner seiner Reisen zuvor.

Es heißt, Franziskus interessiere sich mittlerweile sehr für die vatikanische Diplomatie. Er lese persönlich die Dossiers, entsende Emissäre, schreibe Briefe. Zur Verwunderung vieler Beobachter hat er Schlüsselpositionen im Vatikan mit ehemaligen Diplomaten besetzt. Pietro Parolin, als Kardinalstaatssekretär die Nummer zwei im Kirchenstaat, war unter anderem Nuntius, also Papstbotschafter in Venezuela; Kardinal Beniamino Stella, der neue Präfekt der Kleruskongregation, war lange in Kuba stationiert. Im Staatssekretariat wird gerade eine Abteilung eingerichtet, in der die Vermittlungsbemühungen des Vatikans zentralisiert werden sollen.

Das klingt fast wie zu den Zeiten von Papst Paul VI., der gemeinsam mit dem späteren Kardinalstaatssekretär Agosto Casaroli in den Sechziger- und Siebzigerjahren eine so diskrete wie effiziente Ostpolitik betrieb und auch mit den atheistischen Regierungen im Warschauer Pakt Abkommen schloss. Doch die Art und das Ziel der päpstlichen Weltpolitik, wie sie Franziskus versteht, unterscheiden sich fundamental von den Formen und Zielen der traditionellen Vatikan-Diplomatie.

Zur anderen Art, mit der Franziskus Diplomatie betreibt, gehören die Direktheit und Herzlichkeit des Menschenfischers Franziskus, mit denen er immer wieder das Protokoll durchbricht. Besonders gut wirkt das offenbar in den Privataudienzen. Dort versteht er sich mit so ziemlich allen Mächtigen der Welt: Barack Obama, Angela Merkel, Wladimir Putin - alle erliegen seinem Charme. Als Franziskus Raúl Castro empfing, stand er gleich nach Beginn der Audienz auf und räumte einen Gegenstand auf seinem Schreibtisch zur Seite, der den direkten Blickkontakt zwischen den Männern störte. Die Unterredung dauerte 55 Minuten, es war die bislang längste Privataudienz seines Pontifikats.

Vor allem aber will Franziskus nicht mehr nur in geheimen Verträgen die Position der Kirche oder der Katholiken verbessern. Wie schon Johannes Paul II. begreift er die katholische Kirche eben als Global Player der Moral im Zeitalter der Globalisierung. Die Kirche darf nicht um sich selbst kreisen, sich in schönen Verträgen absichern - sie muss Anwältin der Armen, Unterdrückten und Ausgeschlossenen sein, muss dort einschreiten, wo Menschen zur Ware werden, zu "Sklaven", wie Franziskus in den vergangenen Monaten häufig gesagt hat. Sie muss für die Bewahrung der Schöpfung eintreten und sich für die Millionen Flüchtlinge einsetzen. Das päpstliche Lehrschreiben "Laudato Si", veröffentlicht im Juni, wendet sich nicht mehr nur an die Katholiken, sondern an alle Menschen guten Willens. Ziel der päpstlichen Diplomatie ist die Weltrettung in Jesu Namen.

In Kuba dürfte das zumindest oberflächlich zu viel Zustimmung und Begeisterung führen. Auch hier sieht sich die spätsozialistische Regierung im Namen der Weltrettung unterwegs, die scharfe Kapitalismuskritik des Papstes teilt man ohnehin, zumindest in der Rhetorik. Das historische Schulterklopfen zwischen Franziskus und den Castro-Brüdern dürfte zum Welt-Medienereignis werden. Franziskus stärkt mit dem Besuch Kubas Position im Öffnungsprozess gegenüber den USA; als Lateinamerikaner gilt er ohnehin als natürlicher Verbündeter in der Auseinandersetzung mit den reichen und mächtigen Vereinigten Staaten, viel mehr als Johannes Paul II. und Benedikt XVI., die ebenfalls Kuba besuchten.

Spannend wird sein, wie scharf die Kritik an der Castro-Regierung ausfallen wird, die immer noch Dissidenten schikaniert, die die Meinungsfreiheit missachtet und auch die Kirche bedrängt. "Egal, was er sagt: Ein kapitalismuskritischer, charismatischer Papst aus Lateinamerika, der sehr frei auftritt, ist immer eine Bedrohung für das Regime", urteilt Bernd Hagenkord, der Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan, der den Papst begleitet.

Auch die Rede vor den Vereinten Nationen dürfte für Franziskus ein Heimspiel werden. Selbst wenn der Vatikan dort nur einen Beobachterstatus hat, und auch wenn es immer wieder Streit um die Themen Verhütung, Abtreibung, Rechte für Frauen und Homosexuelle gibt. Den Boden dafür hat vor 50 Jahren Papst Paul VI. bereitet. Der hielt am 4. Oktober 1965 eine fulminante Rede auf Französisch, die in dem Ausruf gipfelte: "Nie mehr Krieg! Nie mehr!" und Schritte zur Abrüstung forderte. Johannes Paul II. sprach zweimal am East River, Benedikt XVI. einmal, 2008, wo er ausdrücklich jene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte lobte, die die katholische Kirche bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil abgelehnt hatte. Franziskus dürfte die Grundthemen seines Pontifikats vortragen: den Aufbau einer friedlichen, gerechten, menschenfreundlichen und umweltverträglichen Welt im Zeitalter der Kriege und Flüchtlingsströme, der zerstörerischen und selbstzerstörerischen Ausbeutung von Mensch und Natur. Der Applaus dürfte ihm sicher sein.

Viele US-Bischöfe haben Probleme mit dem Provokateur in Weiß

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Anders als in den Vereinigten Staaten. Auch hier ist alles für einen überwältigenden Empfang bereitet: Franziskus wird die Obama-Familie fast privat im Weißen Haus treffen, von Charismatiker zu Charismatiker sozusagen; die Rede vor dem Kongress ist eine große Ehre, und auch in den USA waren die Karten für die Papstmessen binnen Minuten vergeben; Millionen Menschen werden dem Oberhaupt der katholischen Kirche zujubeln. Und doch sind die Fremdheiten unübersehbar. Für Jorge Mario Bergoglio sind die USA das Land, das die von 1976 bis 1983 herrschende Militärjunta in Buenos Aires unterstützte, das Argentinien, als es sich überschuldet hatte, einen harten, unsozialen Sparkurs aufzwang, das immer drohend als mächtiger Freundfeind im Norden steht. Der peronistische Sprachschatz, aus dem auch der Papst schöpft, hat einigen Antiamerikanismus im Vorrat. Und dass er nur vier seiner 18 Reden in den USA auf Englisch hält, ist auch ein Zeichen.

Die Amerikaner finden das umso weniger gut, je konservativer sie sind. Franziskus sei ein frommer und glaubwürdiger Mann, heißt es bei vielen Republikanern, politisch aber könne man ihn nicht ernst nehmen. Sie fürchten, dass der Argentinier auf dem Papstthron lieber ein Ende der Sanktionen gegen Kuba fordert statt den Kampf aller Christen gegen die Abtreibung und die Homo-Ehe. Doch auch mancher katholische Bischof aus der eher konservativen US-Bischofskonferenz hat seine Probleme mit dem fröhlichen Provokateur im weißen Gewand.

Nur: Laut reden über seine Bauchschmerzen wird wohl keiner - kommt der Papst zu Besuch, heißt es, papsttreu zu sein. Zumal zum Weltfamilientreffen in Philadelphia am nächsten Wochenende bis zu zwei Millionen Menschen erwartet werden. Eine gewaltige Präsentation katholischer Pracht und Glaubensstärke - mit dem Papst an der Spitze.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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