Pakistan nach den verheerenden Anschlägen:Problemstaat in permanentem Ausnahmezustand

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Die erste Bombe explodiert in einer Billardhalle, die zweite inmitten von Rettungskräften, eine dritte während einer Predigt: Eine perfide Anschlagsserie erschüttert Pakistan. Terroristen und Islamisten, vom Staat geduldet, beschleunigen die Abwärtsspirale des Landes, das sich im Zentrum des internationalen Terrorismus befindet.

Von Tobias Matern

Mehr als 100 Tote, dazu mindestens 230 Verletzte: Der 10. Januar wird als einer der blutigsten Tage in die Geschichte Pakistans eingehen. Nach den Bombenanschlägen in der Stadt Quetta im Südwesten und der Stadt Mingora im Swat-Tal im Nordwesten des Landes werden immer mehr Details über die Anschläge bekannt.

Viele der Opfer in Quetta waren Schiiten, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung Pakistans ausmachen und immer wieder Ziel von Anschlägen sind. Pakistanische Twitter-Nutzer sprechen von einem "Genozid" an Mitgliedern dieser muslimischen Glaubensrichtung. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, schiitische Anführer hätten sich an das pakistanische Militär gewandt und um Schutz gebeten.

Doch Pakistan betrauert nicht nur die Opfer, sondern weiß nun auch mehr über die Täter. Zu dem Doppelanschlag auf eine Billardhalle in Quetta, der Hauptstadt der Provinz Belutschistan, bekannte sich die von der Regierung als Terrororganisation eingestufte Lashkar-e-Jhangvi (LeJ), eine sunnitische Gruppierung. Somit deutet alles darauf hin, dass es sich um einen innerpakistanischen Konflikt und religiös-ethnisch motivierte Gewalt gegen die schiitische Gemeinde handelt.

Ziel ist ein sunnitischer Scharia-Staat

Die LeJ wurde 1996 gegründet. Ihr Ziel ist es, Pakistan zu einem sunnitischen Staat auf Basis der Scharia zu machen. Sie gilt als eine der gewalttätigsten sunnitischen Terrorgruppen, die in den vergangenen Jahrzehnten Hunderte Schiiten umgebracht hat. Die Gruppe unterhält Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida und war an der Entführung und Enthauptung des US-Reporters Daniel Pearl im Jahr 2002 beteiligt (mehr zur LeJ in dieser Analyse der australischen Regierung).

In Quetta hatte sich zunächst ein Selbstmordattentäter in der Billardhalle in die Luft gesprengt, ehe zehn Minuten später ein zweiter Attentäter vor dem Gebäude eine Bombe in seinem Auto zündete und weitere Menschen tötete, darunter Polizisten, Rettungskräfte und Journalisten.

Die New York Times berichtet, dabei sei auch der bekannte Bürgerrechtsaktivist Irfan Ali ums Leben gekommen. Seinem Twitter-Account zufolge war er der ersten Explosion knapp entgangen. Er beklagte sich über einen "traurigen Tag" für die Region Belutschistan, ehe sein Twitterfeed verstummte.

Welche Rolle spielen die Taliban?

Im Swat-Tal wissen die Behörden nach offiziellen Angaben noch nicht, wer für den Anschlag verantwortlich ist. Hier war ein sunnitisches Begegnungszentrum Ort des Anschlags, also könnte es ebenfalls ein religiös motivierter Anschlag sein.

Bei dem Anschlag in der Distrikthauptstadt Mingora waren 22 Menschen getötet und mehr als 80 verletzt worden. Die Explosion ereignete sich, als mehr als 1500 Menschen der Ansprache eines sunnitischen Predigers zuhörten.

Im Jahr 2007 hatte die pakistanische Regierung den Taliban im Swat-Tal die Macht überlassen, die Islamisten wollten von hier aus ihren Einfluss ausdehnen. Daraufhin zog die Armee in einen Krieg gegen die Taliban und vertrieb die Islamisten.

Zwar gilt das Swat-Tal nach offizieller Darstellung inzwischen als weitgehend stabil, allerdings verüben die Taliban hier immer wieder Anschläge. Im Oktober hatten die Taliban die 15 Jahre alte Aktivistin Malala Yousafzai niedergeschossen. Sie war zur Behandlung ins britische Birmingham gebracht worden, konnte inzwischen das Krankenhaus aber wieder verlassen.

Das Land hat eine jahrelange Abwärtsspirale hinter sich, die moderaten Kräfte werden von religiösen Eiferern zunehmend an den Rand gedrängt. Die zivile Regierung ist schwach, das Militär allmächtig.

Pakistan steht inzwischen im Zentrum des internationalen Terrorismus. Teile des Sicherheitsapparats aber halten die Taliban und andere Islamisten für eine steuerbare Kampftruppe, die pakistanische Interessen verfolgt - etwa in den Nachbarländern Afghanistan und Indien.

Doch diese Strategie hat den pakistanischen Staat vor eine Zerreißprobe gestellt, es ist ein Spiel mit dem Feuer. Denn pakistanische Taliban führen auch Anschläge in Pakistan aus.

Pakistans Probleme haben ein lange Geschichte: Der Geheimdienst hat hier mit tatkräftiger Hilfe der USA in den 80er Jahren militante Kämpfer für Afghanistan ausgebildet, um die Sowjetarmee zu bekämpfen. Heute wird Pakistan die Geister, die es einst rief, nicht mehr los.

USA verschärfen die Islamisierung

Die Aussichten, das zeigt der Anschlag deutlich, sind düster: Pakistan müsste eine Reihe von Problemen angehen, doch jedes einzelne ist für sich schon äußerst schwierig zu lösen. Eine Diskussion über das Verhältnis von Religion und Staat bleibt weiterhin tabu. Liberale Politiker und Aktivisten, die etwa für eine Reform des Gesetzes plädieren, das Gotteslästerung unter schwere Strafe stellt, sind ermordet worden. So zum Beispiel im Jahr 2011 der Christ Shabaz Bhatti, Minister für religiöse Minderheiten.

Es gibt zahlreiche Separatisten, über weite Teile der Grenzregion zu Afghanistan hat die Regierung in Islamabad keinen Einfluss. Der nach wie vor vorherrschende Feudalismus macht einige wenige Menschen extrem reich, die große Masse lebt in Armut.

Atomwaffen weltweit
:Karte des Schreckens

Atomgipfel in Washington und Abrüstungsvertrag in Prag: Obama träumt von einer "Welt ohne Atomwaffen". sueddeutsche.de zeigt in einer interaktiven Grafik alle Atommächte - und wie viele Sprengköpfe sie haben.

Die politisch Verantwortlichen sind in weiten Teilen korrupt, das Militär ist die mächtigste Organisation des Landes. Und die USA verschärfen die Islamisierung durch ihre Drohnenangriffe im Grenzgebiet, mit denen sie Terroristen gezielt ausschalten wollen, immer wieder aber auch Zivilisten treffen.

Doch Washington wird sich weiter in Pakistan einmischen: Das Land ist Atommacht und wenig fürchtet die amerikanische Regierung mehr, als dass die Taliban in den Besitz von Nuklearwaffen kommen.

Mitarbeit: Michael König

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