Pakistan:"Mit religiösen Gefühlen wird Politik gemacht"

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Nach dem gekippten Todesurteil gegen Asia Bibi wirft Forscher Yousuf der Regierung Angst vor Extremisten vor.

Interview von Arne Perras

Im Streit über die inhaftierte Christin Asia Bibi hat die pakistanische Regierung dem Druck religiöser Fanatiker nachgegeben; sie lässt die Mutter nicht frei, obgleich das Oberste Gericht das Todesurteil gegen sie aufgehoben hat. Hetzer drohen, die Richter zu ermorden und fordern, die Justiz müsse die Entscheidung revidieren. Sie beharren darauf, dass Bibi den Propheten beleidigt habe, obgleich es keine Beweise gibt. Waheed Yousuf ist Experte für Minderheitenrechte und lehrt an der Quaid-i-Azam-Universität in Islamabad vergleichende Religionswissenschaften. Er spricht über die Macht der religiösen Extremisten, die Schwäche der Regierung und die prekäre Lage der Christen im mehrheitlich muslimischen Pakistan.

SZ: Die Hardliner wollen Asia Bibi um jeden Preis am Galgen sehen. Wird der Staat sie vor dem Mob beschützen?

Waheed Yousuf: Bibi befindet sich seit 2010 in Isolationshaft, daran hat sich bis heute nichts geändert. Sie sitzt in einer Zelle, 2,44 auf 3,05 Meter, und kein Besucher darf zu ihr, auch nicht andere Gefangene. Sie bereitet sich selbst das Essen zu, sie darf nichts aus der Gefängnisküche bekommen und auch keinen Kontakt zu anderen Häftlingen haben. Die Gefängnisleitung sagt, so soll verhindert werden, dass Bibi vergiftet oder ermordet wird. Ich höre, dass die Sicherheitsvorkehrungen für sie zuletzt noch verschärft wurden.

Das Oberste Gericht hat angeordnet, sie müsse freigelassen werden. Warum setzt der Staat nicht durch, was die Verfassungsrichter entscheiden?

Die Regierung hat einfach nicht den Mut, gegen diese Leute vorzugehen, die Bibis Tod fordern. Die Frau kommt nicht frei, weil die Regierung befürchtet, dieser Schritt werde ihr schaden. Mit den religiösen Gefühlen der Leute machen die Parteien in Pakistan eben Politik.

Warum haben die Leute, die Bibi als angebliche Gotteslästerin an den Galgen bringen wollen, so viel Macht?

Anhänger der Partei Dschamaat-e-Islami protestieren gegen die Entscheidung des Obersten Gerichts. Die Richter erhielten seitdem Todesdrohungen. (Foto: Rizwan Tabassum/AFP)

Kaum einer wagt, etwas gegen diese Gruppen zu sagen. Warum? Weil deren Führer dann sofort behaupten: Du hast den Islam oder den Propheten beleidigt. Man muss auch sehen: Politiker, die sich früher für Bibi eingesetzt haben, wurden ermordet. Salman Taseer, Gouverneur von Punjab, und auch Shabaz Bhatti, Minister für Minderheiten, beide getötet im Jahr 2011. Das ist hier nicht vergessen. Und es gibt eine blinde Gefolgschaft für die religiösen Führer.

Wozu führt das?

Einer der Anführer des Protests hat eine Fatwa gegen die drei Richter ausgesprochen, ein religiöses Verdikt, das einem Todesurteil gleichkommt. Wer die Richter umbringt, dem wird der Himmel versprochen. Unser Land ist vergangene Woche in eine sehr gefährliche Lage geraten. Nicht einmal den Armeechef Qamar Bajwa hat die Protestbewegung ausgespart; ihm wird vorgeworfen, er habe das Gericht bedrängt, Asia freizulassen. Nun sehen plötzlich alle, dass der Armeechef sehr darauf bedacht ist, öffentlich seinen Glauben zu zeigen. Vor der Hochzeit seines Sohnes lud er zu einer großen religiösen Feier ein, mit Lobliedern für den Propheten. Wenn selbst ein so mächtiger Mann wie der Armeechef auf diese Weise reagiert, dann zeigt das, wie stark die Bewegung gegen Bibi und die obersten Richter ist.

Was bedeutet das für die christliche Minderheit in Ihrem Land?

In Pakistan weiß jeder, dass man als Angehöriger einer Minderheit nicht frei sprechen darf. Für Christen ist es eine besonders schreckliche Situation. Christen, besonders in den ärmeren Vierteln, haben jetzt Todesdrohungen bekommen, deswegen bleiben alle still und äußern sich nicht in den sozialen Medien. Kein Wort ist zu hören von ihnen über die Entscheidung des Verfassungsgerichts im Fall Bibi. Sie spüren alle gemeinsam die Bedrohung.

Waheed Yousuf ist Religionswissenschaftler in Islamabad. Er beklagt die Macht religiöser Extremisten, die selbst den pakistanischen Armeechef einschüchtern. Die Regierung müsse Asia Bibi sofort freilassen, fordert Yousuf. (Foto: oh)

Wie geht es der Familie?

Sie sucht im Ausland nach Asyl. Sie muss sich in Pakistan verstecken, es ist sehr schwer für den Mann, die Töchter und Bibi. Deshalb ist es wichtig, dass die Regierung sofort handelt. Wenn Asia unschuldig ist, wie das Oberste Gericht festgestellt hat, dann sollte die Regierung Bibi sofort freilassen und dafür sorgen, dass sie künftig in Sicherheit und Frieden leben kann. Wenn das nicht möglich sein sollte in Pakistan, dann muss der Staat Asia Bibi und deren Familie zumindest so weit schützen, dass sie schnell ausreisen kann. Aber ich befürchte, dazu wird es in absehbarer Zeit nicht kommen.

Warum?

Ich glaube nicht, dass die Richter sich bald mit der Petition beschäftigen werden, die fordert, dass die Aufhebung des Todesurteils noch mal überprüft werden muss. Die Richter haben gesehen, was ihr Urteil ausgelöst hat, sie werden sich so schnell nicht mehr äußern. Der oberste Richter ist nun schon mit Herzproblemen im Krankenhaus, ich will da keine Verbindung herstellen, aber die Leute werden sicher denken, dass ihm der immense Druck schwer zugesetzt hat.

© SZ vom 07.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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