Pakistan:Kampfjets und Cornflakes

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Pakistans Militär hat auch ökonomische Macht - und wird politisch kaum kontrolliert. Der scheidende Armeechef Raheel Sharif wurde gefeiert wie ein Superstar.

Von Tobias Matern, München

Der Mann hat das Image eines Stars. Die Städte im ganzen Land sind mit Postern vollgepflastert, darauf sein Porträt, huldigende Sprüche, Danksagungen. Auf den bunt verzierten Trucks der Fernfahrer prangt sein handgemaltes Konterfei, in den sozialen Medien erfährt er echte und gesteuerte Zuneigung. Nie zuvor in der Geschichte des pakistanischen Militärs hat ein Armeechef so viel Popularität genossen wie Raheel Sharif. Respektiert haben die Menschen der muslimischen Nation den jeweiligen Oberbefehlshaber schon immer, aber geliebt eher nicht. In Sharifs Fall ist die Zuneigung das Ergebnis einer sorgsam orchestrierten PR-Kampagne und einiger Verbesserungen, die er seinen Landsleuten tatsächlich beschert hat.

Der General wird an diesem Dienstag sein Amt trotzdem abgeben, so wie er das immer schon angekündigt hat, auch wenn die meisten Pakistaner wollten, dass er einfach bleibt. Premierminister Nawaz Sharif - nicht verwandt mit dem scheidenden Armeechef - ernannte am Wochenende General Qamar Javed Bajwa zum neuen Chef der 1,1 Millionen pakistanischen Soldaten und Reservisten. Bajwa war bislang als Generalinspekteur vor allem für die Ausbildung der Truppe zuständig und zuvor als Kommandeur eines Korps für die Sicherung der langen Grenze mit Indien. Er gilt als ruhiger Kommandeur, der dem Kampf gegen die Taliban und andere Extremisten einen höheren Stellenwert einräumt als dem Konflikt mit Indien.

Sharif, der General, lässt Sharif, den Politiker, in arger Not zurück. Der Premier ist durch die Veröffentlichungen in den Panama Papers über das Finanzgebaren seiner Familie angezählt, seine Versuche, auf den ungeliebten Nachbarn Indien zuzugehen und damit auch den Kaschmir-Konflikt zu thematisieren, wurden ausgebremst. Aber auch sonst genießt niemand aus der politischen Klasse ein auch nur in Ansetzen vergleichbares Ansehen wie der scheidende Armeechef. General Sharif habe geliefert, was er versprochen habe, sagen viele Pakistaner. Das sind sie von ihrer politischen Klasse nicht gewohnt.

Der Armeechef hat durch Operationen in den Stammesgebieten gegen die pakistanischen Taliban die Sicherheitslage im Land ein wenig verbessert, er hat die Truppen an der Front oft besucht, die Kameraleute der Militär-Medienabteilung stets dabei: Das hat seinem Ansehen gut getan. Und er hat die paramilitärischen Rangers in die 20-Millionen-Menschen-Metropole Karatschi geschickt. Den massiven Aufmarsch uniformierter Sicherheitskräfte spüren die Menschen in einer Stadt, in der Auftragskiller und mafiöse Strukturen das Geschehen bestimmt haben. "Seitdem erleben wir hier Sicherheit, ein Gefühl, das wir vorher lang nicht kannten", sagt eine Bewohnerin Karatschis.

Dass die zivile Politik in Islamabad taumelt, kommt dem Militär gelegen. In der knapp 70-jährigen Geschichte des Landes haben die selbsterkorenen, uniformierten Hüter des Atomstaates ein ums andere Mal die Macht offen an sich gerissen und das Land regiert. Das ist nun gar nicht mehr nötig: Die mal offene, mal subtile Form der Einmischung in politische Angelegenheiten ist für die Armee komfortabler, als für die Verbesserung der Lebensumstände der Menschen verantwortlich zu sein - in einem Entwicklungsland, das nach wie vor an Korruption, Feudalismus und den Folgen des Terrorismus leidet. Und in dem ein Drittel der Menschen von weniger als zwei Dollar am Tag leben muss. Die Stromausfälle, die hinkende Wirtschaft, die Vetternwirtschaft schreiben die Medien gerne der Regierung zu. Bei Berichten über die Armee zensieren sie sich hingegen selbst, wie pakistanische Journalisten einräumen.

"Kasernenhofdemokratie" nennt Christian Wagner von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) das politische System Pakistans, soll heißen: "Es gibt weiterhin kein Primat der Politik gegenüber der Armee." Zwar ist General Bajwa formal vom Premierminister ausgewählt worden, aber daraus folgt keine Kontrolle der Streitkräfte. Und in den entscheidenden Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik haben weder Regierung noch Parlament viel zu entscheiden - etwa bei der Afghanistan-Strategie. Auch unter General Sharif hat Pakistans Militär an seiner Strategie festgehalten, die afghanischen Taliban nicht zu bekämpfen. Sie sollen offenbar weiterhin eine Rolle in den pakistanischen Überlegungen für eine Nachkriegsordnung in Afghanistan spielen.

Das zivile Establishment habe kein Interesse mehr, den Kampf für mehr Demokratie offen zu führen

Die Rollenverteilung zwischen ziviler und militärischer Führung hat sich in Pakistan zementiert, es entstanden in den vergangenen Jahren sogar neue Bande, wie Beobachter in Pakistan beschreiben. "Der General wurde zum Mythos stilisiert, und das unter billigender Inkaufnahme der zivilen Klasse", sagt ein liberaler Analyst, der aus Furcht vor Repressalien namentlich nicht in der Zeitung genannt werden möchte. Das zivile Establishment habe gar kein Interesse mehr, den Kampf für mehr Demokratie und gegen das Militär mit offenem Visier zu führen, sagt der Analyst: "Es ist nun lieber Zuschauer, weil es im wirtschaftlichen Bereich gerne Partnerschaften mit dem Militär eingehen will."

Auf 20 Milliarden US-Dollar beziffert die Buchautorin Ayesha Siddiqa das privatwirtschaftliche Volumen des Militärs, die Armee ist nicht nur als Arbeitgeber der Soldaten ein massiver Wirtschaftsfaktor. Mit ihr verbandelte Fabriken stellen Cornflakes, Waschmittel, Zement und Zucker her, im Portfolio sind auch Finanzdienstleistungen, Arbeitsvermittlungen und Energie. In den Firmen erhalten ehemalige Militärangehörige Jobs, hier sitzen aktive Militärangehörige in den Aufsichtsgremien. Und an diesem System, davon sind alle Beobachter in Islamabad überzeugt, wird sich auch unter dem neuen Armeechef nichts ändern.

In Hyderabad tragen Begeisterte das Konterfei des hoch angesehenen Noch-Armeechefs Raheel Sharif durch die Straßen. (Foto: imago/ZUMA Press)
© SZ vom 28.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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