Präsidentenwahl in Polen:Versöhnliche Botschaften nach allen Seiten

Lesezeit: 2 min

Alles ist offen: Die Polen müssen in einer Stichwahl klären, wie das Reformprogramm des Landes weitergehen soll.

Thomas Urban

Alles ist offen in Polen. Zwar hat der favorisierte Bronislaw Komorowski die erste Runde der vorgezogenen Präsidentenwahlen gewonnen. Doch können er und sein Parteifreund Donald Tusk, der Regierungschef, sich Komorowskis Sieges über Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski bei der Stichwahl angesichts eines Abstandes von nur etwa fünf Prozent der Stimmen keineswegs sicher sein. Denn Kaczynski, der seinen beim Flugzeugunglück von Smolensk umgekommenen Zwillingsbruder Lech als Staatsoberhaupt beerben möchte, kann sich auf eine hochmotivierte Anhängerschaft stützen.

Bronislaw Komorowski kann sich seines Sieges über Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski angesichts eines Abstandes von nur etwa fünf Prozent der Stimmen keineswegs sicher sein. (Foto: Reuters)

Hingegen löst der blasse Komorowski wenig Begeisterung aus. Sein hoher Stimmenanteil gilt weniger ihm, vielmehr ist er auf den Anti-Kaczynski-Effekt zurückzuführen: Komorowski wählen diejenigen, die Kaczynski verhindern wollen. Dieser hatte während der "Doppelherrschaft der Zwillinge" vor drei Jahren auf permanente Konfrontation gesetzt. Nach außen gegenüber den deutschen und den russischen Nachbarn, von denen er unentwegt das Eingeständnis historischer Schuld gegenüber Polen forderte. Nach innen machte er immer wieder Schlagzeilen, weil er den Geheimdienst und die Anti-Korruptions-Behörde gegen politische Gegner einsetzen ließ.

Allerdings hat Kaczynski nach dem Tod seines Bruders vor zehn Wochen öffentlich gelobt, den "polnisch-polnischen Krieg" zu beenden. Auch an die Nachbarn schickte er versöhnliche Botschaften. Wohl die Mehrheit seiner Landsleute aber glaubt, diese Metamorphose sei eher wahltaktischer Natur. Dies ist der Punkt, an dem die Wahlberater Komorowskis ansetzen werden. Dieser gilt zwar als langweilig, aber als absolut integer und solide. Von ihm ist kein politisches Poltern zu erwarten, so wie es Kaczynski immer wieder vorführte - und damit Polen im Ausland blamierte.

Dabei hat Kaczynski als Regierungschef oft auch pragmatisch agiert. Er ist ebensowenig wie sein verstorbener Bruder ein dumpfer Nationalist. Vielmehr hat Jaroslaw Kaczynski Schwächen und Schattenseiten der polnischen Gesellschaft präzise analysiert. Ihm ist kaum zu widersprechen, wenn er die ausgebliebene Aufarbeitung des kommunistischen Regimes als eine der Hauptursachen für die Verwerfungen in der Gesellschaft ausmacht.

Denn Seilschaften aus der Partei und dem Staatssicherheitsdienst sind zu den großen Gewinnern des Übergangs zur Marktwirtschaft geworden. Dies berührt das Gerechtigkeitsgefühl weiter Bevölkerungskreise. Zu Kaczynskis Anhängern zählt zudem ein großer Teil der aufstiegsorientierten jungen Generation.

Ein Sieg Kaczynskis bei der Stichwahl am 4. Juli würde die weitere Integration Polens in die EU-Strukturen erschweren oder gar blockieren. Auch würde er wohl sein Veto gegen Kernpunkte des ehrgeizigen Reformprogramms von Tusk einlegen. Eine Niederlage Komorowskis würde also mittelfristig auch den Untergang des Reformers Tusk bedeuten.

© SZ vom 21.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Tod von Lech Kaczynski
:Polen weint

Der Tod von Staatsoberhaupt Lech Kaczynski hat in Polen tiefe Betroffenheit ausgelöst. Im Ganzen Land strömen Menschen auf öffentliche Plätze, um gemeinsam zu trauern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: