Osttimor:Hoffnungsträger auf dem Sprung

Lesezeit: 4 min

Osttimors Präsident José Ramos-Horta steht vor einer schweren Entscheidung: Er könnte UN-Menschenrechtskommissar werden, zuhause gilt er jedoch als unverzichtbar. Porträt einer Symbolgestalt.

Roman Deininger

Osttimor ist ein zerrissenes Land. Ein Inselstaat, dem nicht einmal seine Insel ganz gehört - eine Hälfte ist indonesisches Territorium. Mehr als vier Jahrhunderte hatten die Menschen in Osttimor unter fremder Herrschaft zu leiden. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 2002 leiden sie unter ihren eigenen Zerwürfnissen. Nur die Entsendung von UN-Friedenstruppen konnte einen Bürgerkrieg verhindern.

Im Februar wurde er bei einem Attentat beinahe getötet, jetzt soll er zur UN wechseln: Osttimors Präsident José Ramos-Horta (Foto: Foto: AFP)

Eintracht gibt es eigentlich nicht in Osttimor, und doch war sie am 17. April plötzlich da, wenn auch nur für ein paar Stunden. Die Würdenträger des Landes hatten sich am Flughafen der Hauptstadt Dili versammelt, alle waren gekommen: Regierung, Opposition, das Militär, die Geistlichkeit. Zusammengebracht hatte sie der ausgemergelte Mann, der an diesem Vormittag einem kleinen Flugzeug aus dem australischen Darwin entstieg. José Ramos-Horta war zurück in Osttimor, zwei Monate nachdem ihn die Kugeln von zwei Attentätern niedergestreckt hatten.

Ramos-Horta, der nun neuer UN-Menschenrechtskommissar werden soll, ist das Gesicht seines Landes. Wie kein anderer verkörpert er die Hoffnung auf nationale Versöhnung. Als 1975 die portugiesischen Kolonialherren Osttimor verlassen, wird der gelernte Journalist der erste Außenminister der neuen Regierung - mit 25 Jahren. Als indonesische Truppen einmarschieren, geht der Sohn einer Osttimorin und eines Portugiesen ins Exil. Er studiert und arbeitet in Europa, den USA und Australien. Egal wo er gerade ist, er kämpft für die Unabhängigkeit seiner Heimat, in der Gewalt und Armut zehntausende Leben dahinraffen.

Die Unabhängigkeit bringt kein Glück

Die Medien nennen ihn "die Stimme Ost-Timors". Ramos-Horta, dem man die Intellekualität schon an der Brille ansieht, spricht fünf Sprachen, ist weltgewandt und bestens vernetzt, wird gehört in den Machtzentren von Brüssel bis Washington. 1996 erhält er den Friedensnobelpreis. 2002 tragen seine Anstrengungen Früchte: Die indonesische Besatzung endet, Osttimor wird unabhängig. Der heute 58-Jährige wird - wieder - Außenminister. Doch die Souveränität bring Osttimor kein Glück, es bleibt bettelarm und gespalten. Enttäuschte Hoffnung entlädt sich in blinder Wut, bald steht das Land in Flammen.

2006 formieren sich Armeedeserteure zu einer Rebellengruppe, die vor allem im ärmeren Westen Zuspruch erhält. Unruhen sind die Folge. Die politischen Allianzen und Motivationen in Osttimor sind undurchschaubarer und widersprüchlicher denn je. Das Land sucht einen Retter - und Ramos-Horta soll es sein.

Er wird Premierminister, im Jahr darauf will er noch höher hinaus und Staatspräsident werden. Im ersten Wahlgang erlebt er ein Debakel: 22 Prozent, gerade so rutscht er in die Stichwahl. Dort schlägt er seinen sozialistischen Kontrahenten mit 70 Prozent der Stimmen. Der Wahlsieg ist ein kleines Wunder, doch sonst kann auch Ramos-Horta als Präsident keine Wunder wirken. Die Probleme Osttimors lassen sich nicht über Nacht lösen.

Der Friedensnobelpreisträger versucht, sich über die Parteien zu stellen, doch oft genug bleibt er am Boden kleben. Im Februar 2008, Ramos-Horta kommt eben vom Joggen zurück, lauern ihm Rebellen vor seinem Haus auf. Drei Kugeln treffen ihn im Oberkörper, er wird ins künstliche Koma versetzt und ausgeflogen. Australische Ärzte bewahren ihn in einer Notoperation vor dem Tod.

Das Attentat verschärft die Krise in Osttimor, die Welt fürchtet um die Stabilität des Landes. Ramos-Horta nutzt den Augenblick der Harmonie bei seiner Rückkehr aus Australien für ein Versöhnungsangebot an die Rebellen: "Auch wenn man mich fast getötet hätte", sagt er, "wünsche ich niemandem dem Tod." An die Aufständischen appelliert er, sich zu ergeben. Keine zwei Wochen vergehen, bis der Rebellenführer seine Waffen vor dem Regierungspalast ablegt. Der Präsident erwägt eine Begnadigung.

24 Stunden Bedenkzeit

Die Kapitulation der Aufrührer ist ein großer Sieg für den genesenen Ramos-Horta. Es könnte sein letzter als Präsident von Osttimor sein. In Dili gab er an diesem Donnerstag bekannt, dass die Vereinten Nationen ihn als neuen UN-Menschenrechtskommissar berufen wollen. Am 30. Juni scheidet die Kanadierin Louise Arbour aus dem Amt. Die Herausforderung, sagte der geschiedene Vater vor Journalisten, würde ihn sehr reizen. 24 Stunden Bedenkzeit hat er sich erbeten.

Der Ehrgeiz des José Ramos-Horta reichte schon immer über Osttimor hinaus. Zu gerne wäre er als Nachfolger von Kofi Annan UN-Generalsekretär geworden, ein Ziel, das durchaus nicht unrealistisch war. Letztlich zog er sich doch aus dem Rennen zurück. "Dann vielleicht 2012", verkündete er trotzig, "nun muss die Welt warten".

Der Jazzliebhaber ist kein strahlender Held, seine Schwächen versteckt er nicht: seine Eitelkeit, seinen Jähzorn, seinen Hang zu Populismus. "Ich kenne meine Grenzen", sagte er einmal in einem Interview. "Ich bin nicht Mahtma Gandhi." Was Ramos-Horta aber tatsächlich ist: ein geschickter Diplomat und ein leidenschäftlicher Kämpfer.

Dem Volk verpflichtet

Sicher nicht die schlechtesten Qualifikationen für das Amt des UN-Menschenrechtskommissars, das Arbour auch aus Frustration freimacht. Der Kommissar, der direkt dem Generalsekretär untersteht, muss mit einem Menschenrechtsrat zurechtkommen, dem viele Staaten angehören, die es mit den Menschenrechten selbst nicht so genau nehmen. Arbour wurde von afrikanischen und islamischen Staaten vorgeworfen, die Lage der Palästinenser zu wenig zu thematisieren. Am Ende klagte die Kanadierin, sie fühle sich in ihrer Unabhängigkeit bedroht.

An Durchsetzungskraft dürfte es einem Menschenrechtskommissar Ramos-Horta nicht mangeln. In Dili gehen die Beobachter einhellig davon aus, dass sich ihr Präsident ob des UN-Angebots nur ziert. Dass er, nach Ablauf der 24 Stunden, ja sagen wird. Experten fürchten in diesem Fall neue Gewalt in Osttimor.

Es sei Zeit für ihn, vorwärts zu schreiten, sagte Ramos-Horta am Donnerstag. Andererseits, beteuerte er, liebe er sein Land und sein Volk, dem er sich als gewählter Präsident verpflichtet fühle.

Sicher: Die Stimme Osttimors wird auch weiter für ihr Land sprechen. Sie wird es wohl nur aus der Ferne tun.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: