Ostdeutschland:Fremdenhass und Zivilcourage

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Ministerpräsidenten warnen davor, rechtsextreme Gewalt nur als ostdeutsches Phänomen zu betrachten. Tatsächlich kann der Osten auch anders.

Von Jens Schneider, Berlin

Es ist ein Appell, der sich auf einem schmalen Grat bewegt. Nichts soll verharmlost werden, das betonen die Regierungschefs. Aber die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder wollen offenbar einer Stigmatisierung der neuen Länder entgegentreten, die im Kampf gegen den derzeit aufflammenden Fremdenhass in Deutschland nicht helfen wird. So warnte Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) in der Welt am Sonntag davor, "vorschnell von einem ostdeutschen Phänomen zu sprechen". Zwar nehme er die Zahlen zu fremdenfeindlichen Übergriffen "sehr ernst", sagte Woidke. Es handele sich aber um eine deutschlandweite Entwicklung, wie Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte etwa in Bayern und Baden-Württemberg zeigten. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) sprach von einem "gesamtdeutschen Problem, das wir gesamtdeutsch bekämpfen müssen". Es "brennen bundesweit Nacht für Nacht Flüchtlingsunterkünfte. Und die Hotspots der braunen Gewalt liegen in alle Himmelsrichtungen verteilt."

Zu dem Festival gegen Rechtsextremismus kommen Die Toten Hosen

Auch Erwin Sellering (SPD) aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und der sächsische Regierungschef Stanislaw Tillich (beide CDU) mahnten am Wochenende, dass Ost-West-Debatten in dieser Frage nicht weiterhelfen würden. Die Deutschen stünden "in Ost und West gleichermaßen vor der Aufgabe, rechtsextremes Gedankengut entschieden zurückzuweisen und rechtsextreme Straftaten konsequent zu verfolgen", sagte Sellering.

Ministerpräsident Tillich wies darauf hin, dass es sich nicht um das Problem eines einzelnen Bundeslandes, sondern um "eine Herausforderung für das ganze Land und die Gesellschaft" handele. Er räumte aber ein, dass es in Sachsen eine nicht zu unterschätzende rechtsextremistische Szene gibt. Er und seine CDU waren zuletzt kritisiert worden, weil sie ausländerfeindliche Tendenzen kleingeredet hätten.

Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) wurde bei einem "Willkommensfest" in Heidenau bei Dresden eine Woche nach den rechtsextremen Krawallen dort von linken Demonstranten und Flüchtlingen ausgebuht und bedrängt. Er verließ das Fest vorzeitig. Am Samstag demonstrierten in Heidenau mehrere Hundert Menschen gegen Fremdenfeindlichkeit. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht das umstrittene, vom Landkreis verhängte Versammlungsverbot für die sächsische Kleinstadt aufgehoben. Das Verbot war vom Landkreis mit einem polizeilichen Notstand begründet worden. Er hatte alle Versammlungen bis zum Montag untersagt, weil die Polizei nicht in der Lage sei, die Sicherheit zu garantieren. Die Karlsruher Richter betonten dagegen in ihrer Entscheidung den besonderen Wert der durch das Grundgesetz geschützten Versammlungsfreiheit. Den Bürgern müsse die Möglichkeit gegeben werden, "sich am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung durch ein 'Sich-Versammeln' zu beteiligen". Der Stadt Heidenau komme "für das derzeit politisch intensiv diskutierte Thema des Umgangs mit Flüchtlingen in Deutschland und Europa besondere Bedeutung zu".

Tanz gegen den rechtsextremen Mob: Gemeinsam mit Demonstranten feiern Flüchtlinge am Samstag vor ihrer Unterkunft in Heidenau. (Foto: Jens Meyer/AP)

In Dresden folgten am Samstag circa 5000 Menschen dem Aufruf zu einer Demonstration für den Schutz von Flüchtlingen und gegen die Asylpolitik in Deutschland. Begleitet von zahlreichen Polizisten, zogen sie durch die Stadt.

In Mecklenburg-Vorpommern kamen im Dorf Jamel bei Wismar mehr als 1200 Menschen zu einem Musikfestival gegen Rechtsextremismus. Dort trotzt ein Ehepaar seit Jahren massiven Anfeindungen in einer von Rechtsextremen geprägten Nachbarschaft. Mitte August wurde die Scheune auf seinem Hof angezündet und brannte vollständig nieder. Die Tätersuche verlief ohne Erfolg, es wird ein rechtsextremer Hintergrund vermutet.

Seit 2007 lädt das Künstlerpaar Birgit und Horst Lohmeyer Unterstützer jedes Jahr zu einem Festival nach Jamel ein. Diesmal traten überraschend Die Toten Hosen auf, der Auftritt wurde kurzfristig verabredet, es kamen so viele Besucher wie nie zuvor.

Campino, der Sänger der Band, sagte in Jamel, der Auftritt sei "eine Geste der Hochachtung für das, was das Ehepaar Lohmeyer leistet und für alle anderen, die sich nicht wegdrehen, wenn die Nazis Plätze für sich reklamieren". Zur Eröffnung war auch Ministerpräsident Sellering gekommen. Es sei wichtig, auch mit solchen Veranstaltungen Flagge zu zeigen und so gemeinsam Zeichen für Demokratie und Weltoffenheit zu setzen, sagte Sellering. Dies gelte gerade auch für Orte wie Jamel, "wo Nazis ihre menschenverachtende Gesinnung durchzusetzen versuchen".

© SZ vom 31.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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