Olaf Scholz:Kandidat in der Pflicht

Lesezeit: 3 min

Muss Finanzminister Olaf Scholz auch für die Fehler seiner Vorgänger geradestehen? (Foto: Thomas Imo/photothek.de/imago)

Hätte der Finanzminister bei Wirecard früher handeln müssen? Diese Frage droht seinen Wahlkampf für die SPD zu belasten.

Von Klaus Ott und Jörg Schmitt, Berlin/München

Es war das letzte Jahr der rot-grünen Koalition, als die Bundesregierung eine Entscheidung traf, die den SPD-Kanzlerkandidaten und Bundesfinanzminister Olaf Scholz heute in Bedrängnis bringt. Scholz saß damals im Bundestag; Innensenator in Hamburg war er bereits gewesen, und seine großen Ämter als Arbeitsminister im Bund, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg und Bundesfinanzminister hatte er noch vor sich. Im März 2005 schloss seine Parteikollegin, die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, einen folgenschweren Vertrag mit der neu geschaffenen Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) ab. Die DPR, ein von Industrie und Bankenverbänden, Gewerkschaftsbund und anderen getragener privater Verein, prüfte fortan Unternehmensbilanzen in Deutschland.

Scholz hatte damit erst einmal nichts zu tun. Als dann von 2015 an immer mehr Zweifel aufkamen, ob die Wirecard AG korrekte Zahlen vorlege, sollte sich die DPR auch um den in Aschheim bei München ansässigen Zahlungsdienstleister kümmern. Das Ergebnis ist bekannt: Die DPR war mangels Personal und Ermittlungsbefugnissen gar nicht in der Lage, die mutmaßlichen Betrügereien in Aschheim zu erkennen. Eine staatliche Kontrolle durch die Finanzaufsicht Bafin gab es nicht. Und den Ärger hat jetzt Scholz, der als Finanzminister erklären muss, was alles schiefgelaufen ist. Und was sich ändern muss. Bei der Finanzkontrolle in Deutschland liegt vieles im Argen.

Als erster Schritt soll die Bilanzkontrolle künftig staatlich organisiert werden

Die Ursachen reichen weit zurück, bis zur rot-grünen Koalition und zu späteren Unions-geführten Bundesregierungen. Scholz ist seit März 2018 Bundesfinanzminister, seit knapp zweieinhalb Jahren, und die Kernfragen für ihn als Kanzlerkandidaten lauten jetzt: Hat er erkannt, welche ungelösten Probleme oder gar Missstände ihm seine Vorgänger hinterlassen haben? Hätte er nicht nur im Fall Wirecard früher handeln müssen? Werden die Fehler seiner Vorgänger von Hans Eichel über Peer Steinbrück (SPD) bis hin zu Wolfgang Schäuble (CDU) nun zu seinen eigenen Fehlern?

Von den Antworten wird abhängen, ob Scholz unbeschadet aus dem Wirecard-Skandal hervorgeht. Oder ob diese Finanzaffäre zu einer Belastung für seinen Wahlkampf wird. Und noch etwas wird ausschlaggebend sein: Hat der Finanzminister mitten in der Corona-Krise, die auch ihn schwer fordert, die Kraft für umfassende und einschneidende Reformen bei der Finanzkontrolle? Das gilt vor allem für die absehbaren Konflikte mit jenen durchaus einflussreichen Teilen der Finanzindustrie, denen schnelle Profite wichtiger sind als nachhaltiges Wirtschaften und denen das Gemeinwohl egal ist. Es geht nicht nur um Wirecard, es geht um viel mehr.

Das größte, aber nicht einzige Problem von Scholz ist die Bafin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Die in Bonn und Frankfurt ansässige Bafin ist eine Aufsichtsbehörde mit rund 2700 Beschäftigten, die bei kleinen Banken gerne ganz genau hinschaut, der manchmal aber der Blick für das große Ganze fehlt. Behördenchef Felix Hufeld hangelt sich in der Wirecard-Affäre von einer Ausrede zur nächsten, und auch sonst geben Hufeld und sein Vorgänger Jochen Sanio keine gute Figur ab. Der Cum-Ex-Steuerskandal mit dubiosen bis kriminellen Aktiengeschäften von Banken zulasten des Fiskus ist ebenfalls kein Ruhmesblatt für die Bafin.

Die Bankenaufsichtsbehörde hat lange Zeit darauf verwiesen, dass die Cum-Ex-Deals die Behörde eigentlich nichts angingen. Weil das ein Steuerthema und damit Sache des Fiskus sei. Dass staatliche Stellen einander nicht helfen, Steuerdiebstahl zu verhindern oder zumindest aufzuklären, ist den Bürgern und Steuerzahlern kaum zu vermitteln. Und auch nicht, dass in etlichen Fällen bei der Verfolgung der mutmaßlichen Täter Verjährung droht, weil Steuerfahnder und Staatsanwälte fehlen. Für diese Missstände ist Scholz beileibe nicht alleine verantwortlich. Aber es würde ihm nicht helfen, sich auf seine Kollegen in den Bundesländern und seine Vorgänger hinauszureden.

Unternehmen sollen ihre Wirtschaftsprüfer öfter wechseln

Scholz ist auch selbst in der Verantwortung. Nötig sind strengere Gesetze und Behörden sowie mehr Prüfer und Fahnder. Im Bundestag wird über inhaltliche, organisatorische und personelle Erneuerung der Bafin diskutiert. Doch sichtbar sind bislang nur erste Ansätze. Die DPR soll abgeschafft und die Bilanzkontrolle künftig staatlich organisiert werden, mit weitreichenden Kontrollrechten. Auch sollen Unternehmen verpflichtet werden, ihre Wirtschaftsprüfer öfters zu wechseln, als das bisher der Fall ist. Die Prüfgesellschaft Ernst & Young hat die künstlich aufgeblähten Bilanzen bei Wirecard lange nicht erkannt.

Auch bei der Financial Intelligence Unit (FIU) in Köln, der deutschen Zentrale für die Bekämpfung der Geldwäsche, gibt es Mängel. Verdachtsmeldungen zu Wirecard wurden zu spät auf Betrugshinweise geprüft und an die Ermittlungsbehörden weitergegeben. Mehrere Bundesländer beklagen weitere Missstände, und die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt sogar wegen Strafvereitelung im Amt. "Wir haben nichts zu verbergen", erwidert die FIU. Der politisch Verantwortliche ist Scholz. Die FIU gehört zum Zoll, der dem Finanzministerium untersteht.

Persönliche Verstrickungen von Scholz in die Wirecard-Affäre sind nicht bekannt und bislang nicht absehbar. Bei ihm kommt es nach dem Stand der Dinge darauf an, ob er nötige Reformen der Finanzaufsicht versäumt hat. Aber auch da könnte ein Untersuchungsausschuss im Bundestag für Scholz unbequem werden.

© SZ vom 13.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: