Offene Fragen zum Nord-Süd-Dialog:SPD reicht Verfassungsklage gegen Wulff-Regierung ein

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Christian Wulff droht nach seinem Rücktritt neues Ungemach in der Heimat: Die SPD in Niedersachsen hat Verfassungsklage gegen die Landesregierung eingereicht, um offene Fragen zum umstrittenen Promitreffen "Nord-Süd-Dialog" zu klären. Der Vorwurf: Mit Wulff als Ministerpräsident habe die Regierung in Hannover das Parlament getäuscht.

Er wollte nur noch raus aus Berlin. Weg von den Journalisten, den Vorwürfen - und den ungelösten Fragen. Noch am Tag seines Rücktritts als Bundespräsident ist Christian Wulff mit der Familie in sein Haus in Großburgwedel zurückgekehrt. Doch auch dort wird er wohl nicht die Ruhe finden, die er sich nach den für ihn so turbulenten und bitteren vergangenen Wochen wohl wünscht.

Ex-Bundespräsident Christian Wulff. Auch nach seinem Rücktritt bleiben offene Fragen. (Foto: AFP)

In der Heimat droht neues Ungemach: Bezüglich des "Nord-Süd-Dialogs", der während Wulffs Amtszeit als niedersächsischer Ministerpräsident organisiert und durchgeführt wurde, sind noch Fragen offen.

Der ehemalige niedersächsische Innenminister Heiner Bartling (SPD) reichte deshalb am Dienstag beim Staatsgerichtshof in Bückeburg Verfassungsklage ein. Die SPD-Landtagsfraktion will so endlich Licht in die Geschehnisse rund um den umstrittenen Promitreff bringen.

Bartling, der dem Gericht 15 Aktenordner übergab, wirft der früheren Landesregierung unter Wulff Verletzung der Auskunftspflicht und Täuschung des Parlaments vor. Seine Anfrage zum "Nord-Süd-Dialog" sei im April 2010 falsch beantwortet worden. Aus Sicht der SPD wurde so die Auskunftspflicht verletzt, das Parlament getäuscht. Die Klage richtet sich allerdings auch gegen die aktuelle Landesregierung, da sie nach Ansicht der SPD im Januar das Parlament ebenfalls falsch informiert hat.

2009 hatte die Wulff-Regierung den "Nord-Süd-Dialog" finanziell und organisatorisch unterstützt, dies aber lange bestritten, 2010 offenbar auch im Parlament. Außerdem hatte die niedersächsische Staatskanzlei noch Ende 2011 darauf bestanden, in Wulffs Amtszeit nicht an der Sponsorenwerbung für die privat organisierten Veranstaltungen beteiligt gewesen zu sein.

Die Reihe wurde allerdings, wie man später in Hannover einräumen musste, federführend vom damaligen Wulff-Sprecher Olaf Glaeseker betreut - möglicherweise nicht ohne Gegenleistung. Glaeseker soll beispielsweise mit seiner Frau mehrmals Gratis-Urlaub in Feriendomizilen des Organisators Manfred Schmidt gemacht haben. Die Staatsanwaltschaft geht von Bestechlichkeit aus. Auch Wulff selbst und seine Ehefrau Bettina sollen zumindest Einfluss auf die Gästeliste genommen haben.

Im Zuge der Kreditaffäre um Wulff kam der Nord-Süd-Dialog Ende 2011 wieder in die Schlagzeilen. Die Veranstaltung war Ende 2007 als Promi-Treff der Länder Niedersachsen und Baden-Württemberg gestartet worden. In Hannover kamen damals etwa 600 Gäste zusammen, darunter bekannte Politiker, Unternehmer, Schauspieler und Sportler. Schirmherren waren die damaligen Regierungschefs Christian Wulff und Günther Oettinger (beide CDU). Organisator war Schmidt, einer der prominentesten Party-Veranstalter Deutschlands.

Nach Ansicht Wulffs trug die Veranstaltungsreihe dazu bei, dass Hannover häufiger in Promizeitschriften vorkam. "Wenn ich den niedersächsischen DGB-Vorsitzenden Hartmut Tölle, Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und den VW-Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh zusammen beim Glas Wein erwische, und es mir gelänge, mit Ferdinand Piëch dazuzustoßen, wäre es ein gelungener Abend", sagte der damalige Regierungschef zum ersten Treffen im Dezember 2007.

Das höchste niedersächsische Gericht, der Staatsgerichtshof in Bückeburg, muss sich nun mit der Klage der SPD befassen - und somit indirekt auch mit der Frage, ob bei der Organisation dieser Abende alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

"Mit unserer Klage wollen wir natürlich auch die Rolle Wulffs prüfen", sagte Bartling. "Es ist wenig glaubwürdig, dass er von den Aktivitäten seines Sprechers Glaeseker nichts gewusst haben will."

"Nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig?"

Die SPD muss dabei einen Umweg beschreiten: Der Landtag in Hannover kann zwar Mitglieder der Landesregierung beim Staatsgerichtshof anklagen, wenn sie in Ausübung ihres Amtes vorsätzlich die Verfassung oder ein Gesetz verletzt haben. Weil für eine solche Anklage aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit im niedersächsischen Landtag und damit auch CDU-Stimmen notwendig wären, ist die SPD in der Wulff-Affäre einen anderen Weg gegangen - den der Individualklage.

Dabei beruft sich die SPD auf Artikel 24 der Landesverfassung, nach der die Landesregierung Anfragen von Landtagsabgeordneten "nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig" beantworten muss. Klagen wegen Verletzung dieses Paragraphen kann nur derjenige, der die Anfrage gestellt hat - in diesem Fall eben der frühere SPD-Innenminister Bartling. Sollte das Gericht urteilen, dass seine Anfrage nicht korrekt beantwortet wurde, könnte es feststellen, dass die Regierung in der Amtszeit Wulffs die Verfassung verletzt hat.

Der Staatsgerichtshof soll darüber wachen, dass Landtag und Regierung ihre vorgegebenen Grenzen einhalten. In seiner Entscheidung ist der Gerichtshof unabhängig. Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Amtierender Präsident ist Jörn Ipsen, Professor am Institut für Kommunalrecht der Universität Osnabrück.

Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) sieht die Verfassungsklage der SPD gelassen. "Wir begrüßen sogar, dass dieser Schritt beschritten wird, weil wir dann Klarheit bekommen über die einzelnen angeblich offenen Punkte", sagte er. Der Regierungschef wies darauf hin, dass die Landesregierung bereits mehrere hundert Fragen beantwortet habe. "Darüber hinaus haben wir von uns aus den Landesrechnungshof gebeten, in eine Sonderprüfung des Nord-Süd-Dialogs einzusteigen und wir haben auch die Staatsanwaltschaft bislang nach Kräften unterstützt und werden das selbstverständlich auch zukünftig tun." Die Landesregierung habe immer nach bestem Wissen und Gewissen und dem aktuellen Kenntnisstand geantwortet. "Ich sehe der Erhebung dieser Klage mit größtmöglicher Gelassenheit entgegen", sagte McAllister.

Der Nord-Süd-Dialog könnte jedoch auch McAllister in Bedrängnis bringen. Der Regierungschef gab zu, dass ihm bekannt war, dass der frühere Regierungssprecher Glaeseker die "Schnittstelle" zwischen dem Schirmherren Christian Wulff und dem Veranstalter Manfred Schmitt war. Auf Anfrage von Glaeseker habe auch McAllister drei Freunde zu dem Treffen einladen lassen, sagte ein Regierungssprecher. Die SPD warf McAllister wegen dieser Äußerungen zumindest eine Verzögerungstaktik vor. "Dieses Wissen hätte ihn im Januar veranlassen müssen, genauer nachzuprüfen, inwiefern die Landesregierung an dem Treffen beteiligt war", sagte Fraktionschef Stefan Schostok

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