Österreich:Die Medienschule des Kanzleramts

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Laut geplantem Gesetz sind sechs Millionen Euro pro Jahr für den "Media Hub" der "Wiener Zeitung" vorgesehen. (Foto: Tobias Steinmaurer/imago images)

Die "Wiener Zeitung" soll künftig nicht mehr als Tageszeitung erscheinen, sondern eine staatliche Journalistenausbildung betreiben. Die Auszubildenden würden dann auch Texte für den Bund verfassen.

Gastbeitrag von Daniela Kraus

Die Wiener Zeitung, 1703 gegründetes Qualitätsblatt im Eigentum der Republik Österreich, soll künftig nicht mehr als Tageszeitung erscheinen. Denn die Regierungskoalition aus Volkspartei (ÖVP) und Grünen hat für die Zukunft der Wiener Zeitung neue Pläne. Ihr Gesetzesentwurf sieht die Einstellung der täglichen Printausgabe vor, den Umbau in ein digitales Aus- und Weiterbildungsmedium, die Einrichtung einer elektronischen "Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes" und den Betrieb eines hochdotierten "Media Hub" zur Journalistenausbildung.

Damit verschwindet die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt als tägliches Printprodukt vom kleinen österreichischen Medienmarkt. Und damit wird de facto die Journalistenausbildung verstaatlicht: Die Wiener Zeitung steht im Alleineigentum der Republik, die Anteilsrechte verwaltet der Bundeskanzler, die neue Ausbildung ist also dem Regierungschef unterstellt.

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Das passiert vor dem Hintergrund aktueller Enthüllungen über gefällige Chefredakteure, systematischer Regierungsfreundlichkeit in der Berichterstattung des ORF-Landesstudios Niederösterreich und Chats, in denen der damalige Generalsekretär im Finanzministerium über Geschäfte mit der Zeitung Österreich frohlockte: "Wer zahlt schafft an. Ich liebe das."

Mehr Geld als alle anderen Marktteilnehmer zusammen

Wird nun in den nächsten Wochen das Gesetz tatsächlich beschlossen, wird der "Media Hub" mit jährlich sechs Millionen Euro aus Bundesmitteln gefördert. Sechs Millionen - damit hat die Kanzler-Medienschule mehr Geld als alle anderen Marktteilnehmer zusammen: Fachhochschul- und Uni-Studiengänge, Akademien und Journalistenschulen. Sie alle müssen mit Budgets weit unter der Millionengrenze auskommen. Der Media Hub wird den Ausbildungsmarkt dominieren. Die ökonomische Übermacht ermöglicht, andere Marktteilnehmer über Kooperationen zu stärken oder zu schwächen. Schon sind die ersten Partner auf der Website des Media Hub angeführt, an erster Stelle die Österreichische Medienakademie. In deren Vorstand: der Geschäftsführer der Wiener Zeitung GmbH.

Mechanismen zur Sicherung von Qualität und Unabhängigkeit sucht man in den Gesetzesvorgaben zur neuen Journalistenschule vergeblich. Universitäten haben verfassungsgesetzlich gewährleistete Autonomie, jeder Fachhochschul-Studiengang eine Akkreditierung, jede Akademie standardisierte Zertifizierungen. Den Media Hub hingegen verpflichtet man per Gesetz - zu nichts. Wir wissen nicht, nach welchen Kriterien ausgebildet wird, wie Lehrberechtigungen vergeben werden. Attraktiv wird das Modell für angehende Journalistinnen und Journalisten trotzdem sein: Anders als in anderen Ausbildungen müssen sie nicht zahlen, sondern werden bezahlt. Der Media Hub kann es sich leisten.

Offene Tore für Interventionen

Ungeschützt vor Eigentümerinteressen ist nicht nur der Lehrbetrieb, sondern auch die Auswahl der Studierenden. Die Tore für Interventionen sind offen. Geboten wird dann eine "360 Grad"-Ausbildung, die Mitarbeit in der Content-Agentur der Mediengruppe inkludiert. Dort werden statt einer Tageszeitung "Contentleistungen" für den Bund und Unternehmen des Bundes produziert. Es sei doch gut, meint die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger, wenn die Auszubildenden durch Praxisanschauung die Unterscheidung von PR und Journalismus lernen würden. Nebeneffekt: Die Ministerien, die sich bei der Wiener Zeitung ihre Agenturleistung kaufen, können gleich nützliche Kontakte zur nächsten Journalistengeneration knüpfen.

Gemunkelt wird, die Konstruktion stamme von Gerald Fleischmann, bekannt als "Mr. Message Control", Vertrauensmann von Sebastian Kurz und Architekt seiner Medienpolitik. Ob es um direkte Interventionen, Medienförderung, Regierungswerbung oder öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht: Diese Politik zielt darauf ab, Medien nach Möglichkeit steuerbar zu machen.

Der grüne Koalitionspartner erklärt das Konzept für die Wiener Zeitung anders: Der Plan komme nicht aus Fleischmanns Küche. Vielmehr sei mit der Kombination aus Online-Ausbildungsredaktion, Media Hub, Content-Agentur und Verlautbarungsplattform die wirtschaftliche Rettung der Wiener Zeitung-Gruppe und damit auch der Redaktion gelungen. Notwendig war der Umbau der Wiener Zeitung geworden, weil ihre Einnahmen aus Pflichtinseraten künftig entfallen. Unternehmen mussten bisher Firmenbuch-Eintragungen im Amtsblatt der Wiener Zeitung kostenpflichtig veröffentlichen. Für das Ende der Pflichtschaltungen hatte unter anderem der Wirtschaftsbund, dessen Geschäftsführer gleichzeitig Mediensprecher der ÖVP ist, lobbyiert.

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Modelle, die auf den langfristigen Erhalt einer Tageszeitungsredaktion abzielen, wurden nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Einen "Tod auf Raten" sagen nun viele Branchenkenner dem journalistischen Teil der Wiener Zeitung und ihrer unabhängigen Redaktion voraus. Das dekretierte Online-Modell mit zehn Printausgaben jährlich könne nicht funktionieren.

Prominenz von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek über Christoph Schönborn, den Erzbischof von Wien, bis zum ehemaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer und mehrere Hundert zivilgesellschaftliche Institutionen aus Kunst, Kultur, Publizistik, Bildung, Wissenschaft und Politik schätzen die professionelle und sachliche Arbeit der Wiener Zeitungs-Redaktion und fordern ihren Weiterbestand sowie die Diskussion alternativer Konzepte. Die Medienministerin Susanne Raab schweigt.

Die älteste Tageszeitung der Welt könnte bald der Vergangenheit angehören. Was die schwarz-grüne Koalition dem nächsten Kanzler, der nächsten Kanzlerin, aber vermacht, ist eine staatliche Journalistenschmiede, die die Journalismuskultur in Österreich für die kommenden Jahrzehnte prägen wird. Das sollten die Message-Controller angesichts der aktuellen Umfragewerte vielleicht noch einmal überdenken.

Daniela Kraus ist Generalsekretärin des Presseclub Concordia in Wien, des ältesten Presseclubs der Welt.

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