Österreich:Massive Verwunderung

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Wiener Mut: Der österreichische "Star-Infektiologe" Christoph Wenisch übt sich in eindrucksvollen Gesten. (Foto: Eibner-Pressefoto/EXPA/Schroetter/imago images)

Nach Kritik am zögerlichen Beginn der Corona-Impfungen kündigt die Bundesregierung einen "vorgezogenen, flächendeckenden Impfstart" an. Außerdem soll ein sogenanntes Eingangstesten kommen.

Von Cathrin Kahlweit

Wien - Vor einem Jahr ist die türkis-grüne Regierung vereidigt worden; sie wolle, hieß es damals, "das Beste aus zwei Welten" zusammenbringen. Dass das gelungen ist, bezweifeln immer mehr Österreicher. Auch wenn die Koalition, jüngsten Umfragen zufolge, bei Wahlen nach wie vor eine Stimmenmehrheit zusammenbrächte, so ging doch die Zustimmung für die ÖVP und Kanzler Sebastian Kurz im Verlauf der Corona-Pandemie stetig zurück. Je länger die Krise andauere, desto stärker werde die Corona-Müdigkeit und desto schwerer falle es allen, diese Phase auszuhalten, hatte Kurz noch vor wenigen Tagen in einem Interview bestätigt, und da war der neueste Ärger, dem sich die Regierung ausgesetzt sieht, noch nicht einmal eingepreist.

Nach einem guten Start im Frühjahr war das Land im Herbst erst mit seinen Covid-19-Infektionszahlen traurige Spitze in internationalen Vergleichen gewesen und hatte zuletzt auch bei den coronabedingten Todesfällen ganz vorn gelegen. Die vom Kanzler überfallartig angekündigten Massentests im Dezember stießen auf ein geringes Echo, das geplante "Freitesten", mit dem negativ Getestete sich nach dem Lockdown Mitte Januar Zugang zu Gastronomie und Veranstaltungen hätten verschaffen sollen, wurde nach dem Nein der Opposition abgesagt. Berichte über überfüllte Pisten und Gedrängel an Liften bestärkten jene, welche die Öffnung der Skigebiete für einen Fehler hielten. So kommt nun zu Schlagzeilen wie "Regierungsversagen" und "Testpleite" noch das "Impfchaos" hinzu.

Wie in anderen EU-Ländern auch sind die Impfungen, die kurz nach Weihnachten starten sollten, zögerlich angelaufen - in Österreich offenbar noch zögerlicher als anderswo. Aktuelle Zahlen dazu, wie viele Menschen in Alten- und Pflegeheimen bisher geimpft worden sind, konnte die Regierung anfangs nicht liefern. Ein Auftritt vom "Sonderbeauftragten des Gesundheitsministeriums", Clemens-Martin Auer, im ORF-Radio am 4. Januar, bei dem er aus "Aktualitätsgründen" keine Details nennen konnte, löste massive Verwunderung aus. Zu langsam, zu intransparent sei das Vorgehen, hieß es von Experten und Betroffenen. Zwar seien bereits 60 000 Impfdosen im Land, hatte Auer bestätigt, weitere 60 000 würden dieser Tage geliefert. Es seien aber bis Silvester nur etwa 6000 Menschen geimpft worden, für das weitere Vorgehen sei eine "kritische Menge nötig". Am 12. Januar solle flächendeckend mit dem Impfen begonnen werden.

Einen Tag später, am 5. Januar, hatte dann eine hohe Beamtin ihren TV-Auftritt, ihres Zeichens "Chief Medical Officer" im Gesundheitsministerium. Sie bestätigte, dass seit Neujahr weniger als hundert Senioren in Alten- und Pflegeheimen zusätzlich geimpft worden waren; ab sofort werde das Verfahren aber beschleunigt. Was sie dann aber mitteilte, führte zu einem medialen Aufschrei: Das Impfen dieser Risikogruppe solle nach der aktuellen Planung bis Ende Februar dauern, erst dann sollten über 80-Jährige an die Reihe kommen, die nicht in Heimen leben. Das Impfen in den Heimen sei eine "hochkomplexe Angelegenheit", man sei aber genau im Plan. Warum das so lange dauern müsse und warum Österreich nicht schon längst eine ausgefeilte und gut kommunizierte Impfstrategie habe, konnte die Beamtin nicht beantworten. Sie hatte ihren neuen Job allerdings auch erst Mitte Dezember übernommen.

Die Regierung kündigte daraufhin am Mittwoch einen "vorgezogenen, flächendeckenden Impfstart" an; bis Ende der Woche sollen 21 000 Dosen verbraucht werden. Die SPÖ verlangt gleichwohl eine Sondersitzung des Parlaments, das Vorgehen der Regierung sei "fahrlässig", sie verspiele das Vertrauen der Bürger. Angekündigt wurde von Regierungsseite auch, dass anstelle des geplanten "Freitestens" nun das "Eingangstesten" kommen soll. Der ursprüngliche Plan hatte vorgesehen, das nach 18. Januar der Zugang zu Gastronomie und Kulturveranstaltungen nur mit einem negativen Covid-19-Test ermöglicht werden sollte; für all jene, die diesen nicht vorweisen konnten, hätten weiterhin Ausgangsbeschränkungen gegolten. Das "Eingangstesten" ist vom Prinzip her das Gleiche - Zugang zu Veranstaltungen nur mit negativem Test -, aber das neue Modell soll nun für alle Bürger nach dem bis 24. Januar verlängerten Lockdown gelten, wenn die Ausgangsbeschränkungen - nach aktueller Planung zumindest - enden.

Ein Problem für die Bekämpfung der Pandemie in Österreich neben dem langsamen Anlauf der Massenimpfungen könnte werden, dass die Impfbereitschaft im Land sehr niedrig ist. Umfragen zufolge wollen sich nur knapp 20 Prozent mit Sicherheit gegen Corona impfen lassen, knapp 30 Prozent "sicher nicht".

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