Österreich-Kolumne:Faule Kompromisse

Lesezeit: 2 min

Kanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein verkünden nicht ganz schlüssige Corona-Maßnahmen. (Foto: Martin Juen/imago images/SEPA.Media)

Wegen steigender Corona-Zahlen kündigt die türkis-grüne Bundesregierung neue Maßnahmen an - und präsentiert damit doch nur eine "österreichische Lösung".

Von Marija Barišić

Diese Woche war es wieder so weit: Es wurde nach länglicher Debatte eine "österreichische Lösung" präsentiert. Darunter verstehen wir in Österreich den Versuch, ein Problem durch einen faulen Kompromiss zu lösen, der alle Beteiligten unglücklich und letztlich alles nur noch schlimmer macht.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Vor einigen Jahren sollte die längste Einkaufsstraße in meiner Heimatstadt Wien - die Mariahilferstraße - zu einer Fußgängerzone werden. Dazu sollte die Straße zwischen den breiten Gehsteigen für Autofahrer gesperrt werden. Die Folge: ein langer und leidenschaftlicher Streit zwischen Autofahrern und Einkaufsbummlern. Letztlich gab es einen Kompromiss, man einigte sich auf die sogenannte Begegnungszone. Beim Einkaufen laufen die Fußgänger heute also immer noch neben umweltverschmutzenden Autos her - und müssen dabei darauf achten, nicht von ihnen überfahren zu werden.

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Man könnte, wenn man an die österreichische Lösung denkt, auch sagen: Meine Landsleute sind bisserl entscheidungsunfähig. Daran musste ich jedenfalls am Mittwoch denken, als die Bundesregierung - wegen der Impfbereitschaft, die zu wünschen übrig lässt, und der stetig steigenden Corona-Zahlen - neue Maßnahmen verkündete.

Die größte Empörung löste dabei die neue Maskenregelung aus. So soll von nächster Woche an die FFP2-Maske den Mund-Nasen-Schutz ersetzen, aber: nicht für alle und nicht überall. Ungeimpfte müssen künftig im Handel, der nicht dem täglichen Bedarf dient (etwa in Modegeschäften in der Begegnungszone) wieder eine FFP2-Maske tragen, Geimpften wird das Tragen der FFP2-Maske hingegen nur empfohlen.

Wer das kontrollieren soll, weiß keiner (die Handelsvertreter verwiesen auf die Polizei, die Polizei sagte, sie habe Besseres zu tun). Aber darum geht es ja auch gar nicht, das ist wurscht. Es geht um die politische Botschaft.

Und die lautet: Liebe Geimpfte, die Impfung hat sich ausgezahlt, darum müsst ihr nicht mehr unbedingt eine Maske tragen. Liebe Ungeimpfte, ihr sollt euch endlich impfen lassen, und bis es so weit ist, müsst ihr wieder Maske tragen (aber fühlt euch nicht gezwungen und habt uns bitte trotzdem lieb).

Es braucht keine Wischiwaschi-Regeln, die niemand versteht

Man könnte auch sagen: Die türkis-grüne Bundesregierung leidet zurzeit an einer disease to please, der Krankheit, allen gefallen zu wollen, ob geimpft oder ungeimpft. Und ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wann immer ich etwas tue, um jemandem zu gefallen, fühle ich mich ein bisschen so, wie diese Maßnahmen sich lesen: irrational und peinlich.

Dabei wissen wir mittlerweile alle, dass ein Leben ohne Einschränkungen erst dann möglich sein wird, wenn genügend Menschen geimpft sind (in Österreich sind bislang knapp 60 Prozent vollständig geimpft) - dafür braucht es klare, positive Anreize, keine Wischiwaschi-Regeln, die niemand versteht.

Ein Blick nach Deutschland könnte zurzeit richtungsweisend sein. Dort hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine "Impfaktionswoche" angekündigt, die mindestens fünf Millionen weitere Menschen zum Impfen bewegen soll - mit Hilfe von Verbänden, Promis und viel Reklame. Die Maßnahme ist zwar nicht weniger verzweifelt, wie meine Kollegin Angelika Slavik hier kommentiert, aber sie ist immerhin schlüssig und konsequent. Und vor allem: keine österreichische Lösung.

Diese Kolumne erscheint am 10. September 2021 auch im Österreich-Newsletter , der die Berichterstattung zu Österreich in der SZ bündelt. Hier kostenlos anmelden .

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