US-Urteil zum Waffenbesitz:Lebensgefährlicher Richterspruch

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Die US-Waffenlobby hat vor dem obersten Gericht einen entscheidenden Sieg errungen. Das Urteil ist eine Tragödie für Amerika, wo 13.000 Menschen im Jahr erschossen werden. Eine Zahl wie aus einem Kriegsgebiet - sie wird steigen.

Hubert Wetzel

James Taylor, 23 Jahre alt, schwarz, ist tot, erschossen. DuJuan Johnson, 29 Jahre alt, schwarz, ist tot, erschossen. Deante Coleman, 17, schwarz, erschossen. Divai Serna, 20, weiß, erschossen. Larry Johnson, 25, schwarz, erschossen. Olayinka Ibitoye Jr., 17, schwarz, erschossen. Sechs junge Männer, alle wurden zwischen Montag und Donnerstag vergangener Woche in Chicago von Kugeln niedergestreckt, sechs Mordopfer von mehr als 200, die die Stadt dieses Jahr bereits zu beklagen hat. Und sechs von knapp 13.000 Amerikanern, die jedes Jahr erschossen werden - eine unvorstellbar hohe Zahl, eine Zahl wie aus einem Kriegsgebiet, und eine Zahl, die nach der Entscheidung des Obersten Gerichts in Washington, wonach das Waffenverbot der Stadt Chicago verfassungswidrig ist, noch steigen wird.

Die US-Waffenlobby hat vor dem Supreme Court einen entscheidenden Sieg errungen. (Foto: dpa)

Mit dem Urteil hat der Supreme Court der Waffenlobby zu einem entscheidenden Sieg verholfen. Die fünf konservativen Richter bestätigen darin, dass ihrer Ansicht nach der Zweite Zusatzartikel der US-Verfassung jedem Bürger das Recht gibt, eine Waffe zur Selbstverteidigung zu besitzen. Das bedeutet: Bundesstaaten und Gemeinden dürfen den Besitz und das Tragen von Waffen künftig allenfalls sehr vorsichtig beschränken, etwa in Schulen oder öffentlichen Gebäuden. Umfassende Waffenverbote, wie es sie derzeit noch in vielen amerikanischen Städten gibt, können nun vor Gerichten angefochten werden und werden aller Voraussicht nach kippen.

Für Amerika ist diese weltfremde Auslegung der Verfassung, der die vier liberalen Richter am Supreme Court ausdrücklich widersprachen, eine Tragödie. Es ist ein Urteil, das Leben kosten wird. Der Zweite Zusatzartikel stammt aus dem Jahr 1791 - einer Zeit, als die jungen Vereinigten Staaten sich gerade die Unabhängigkeit von der britischen Krone erkämpft hatten, als Waffenbesitz bedeutete, eine einschüssige Flinte in der Blockhütte liegen zu haben, um sich notfalls gegen Rotröcke, Indianer und Bären wehren zu können. Heute bedeutet Waffenbesitz in Amerika, dass jugendliche Drogendealer sich inmitten von Wohnvierteln mit Schnellfeuergewehren bekriegen. Oft genug sterben dabei nicht nur die jungen Desperados, sondern auch spielende Kinder in Vorgärten und Großmütter in Schaukelstühlen, die ins Kreuzfeuer geraten.

So deprimierend wie die Entscheidung des Gerichts ist das Wegducken von Präsident Barack Obama. Der Staatschef begann seine politische Karriere einst in den Slums der South Side von Chicago, er weiß sehr wohl, welchen Blutzoll die laxen Waffengesetze vor allem in den armen, schwarzen Stadtvierteln fordern. Doch der Präsident hat früh beschlossen, sich aus dem ideologisch hochbrisanten Kampf um den Waffenbesitz herauszuhalten. Taktisch gesehen mag das clever sein, denn gun control ist kein Thema, mit dem man in Amerika Wahlen gewinnt. Moralisch ist Obamas Verhalten hingegen feige.

© SZ vom 30.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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