Obama und die Gesundheitsreform:Konter zur besten Sendezeit

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Minenfeld Gesundheitspolitik: US-Präsident Obama will wortreich seine Reform verkaufen. Er wendet sich direkt an das Volk - und packt es bei seiner Konsumenten-Ehre.

Moritz Koch, New York

Über einen roten Teppich schreitet der Präsident an sein Podium. In gewohnter Kulisse bleibt er stehen. Zu seiner Rechten das Sternenbanner, zu seiner Linken die Präsidentenflagge, zu seinen Füßen die Hauptstadtjournalisten. Auch sie sind Zierwerk. An diesem Abend, an dem Barack Obama seine Gesundheitsreform verkaufen will, braucht er keine Medien. Er wendet sich direkt an sein Volk.

Hinter ihm das Sternenbanner, die Hauptstadtjournalisten sein Publikum: US-Präsident Obama will seine Gesundheitsreform verkaufen. (Foto: Foto: AP)

Obama fixiert die Amerikaner durch die Kameras - und packt sie bei ihrer Konsumenten-Ehre. "Warum wollen wir für etwas bezahlen, das nicht funktioniert?", fragt er und setzt nach: "Wenn wir herausfinden würden, dass unser Nachbar das gleiche Auto wie wir für 6000 Dollar weniger bekommen hat, würden wir doch wissen wollen, wie er das gemacht hat."

47 Millionen US-Bürger sind nicht versichert

Wahrscheinlich schon, könnte man meinen. Doch Amerika verdrängt sein dringendstes Finanzproblem: Die stetig anschwellenden Kosten für den Gesundheitsschutz, die das ohnehin schon hochverschuldete Land in den Ruin treiben. Langsam, aber sicher. Keiner, der die Grundrechenarten beherrscht, bestreitet das. Und obwohl die USA mehr für ihr Gesundheitssystem ausgeben als jedes andere Land der Welt, haben sie keine gesündere Bevölkerung. Im Gegenteil.

Ein Sechstel ihres Volkseinkommen geben die Amerikaner für ihre Gesundheit aus, pro Einwohner 15.000 Dollar jährlich, doppelt so viel wie vor zwei Jahrzehnten und 6500 Dollar mehr als andere Industriestaaten. Dennoch sind 47 Millionen US-Bürger nicht versichert. Krankheiten und Unfälle bedeuten für viele von ihnen die Privatinsolvenz. Kurz: Das amerikanische Gesundheitssystem ist ein Musterfall verschwenderischer Ausgaben.

Obama will das ändern. Er will die Kosten zügeln und den Unversicherten einen bezahlbaren Gesundheitsschutz anbieten. Zwei Drittel der Reform sollen mit Einsparungen und Effizienzgewinnen finanziert werden, ein Drittel mit der Reduzierung der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für die Oberschicht.

Die Stimmung könnte kippen

Schon einmal wurde ein demokratischer Präsident ins Weiße Haus gewählt, der versprochen hatte, das Gesundheitssystem zu reformieren. Keine 20 Jahre ist das her. Auch er war jung, beliebt und rhetorisch brillant: Bill Clinton. Doch Clintons Reform fiel chaotischer Planung und parteipolitischen Scharmützeln zum Opfer.

Sein frühes Scheitern wurde zum Fluch für seine Präsidentschaft und ebnete den Weg für den Siegeszug der Opposition im Kongress, den ihr erzkonservativer Anführer Newt Gingrich zum Anlass nahm, 1994 die Republikanische Revolution auszurufen. Wiederholt sich nun die Geschichte?

Im Wahlkampf schien Obama politisch unverwundbar zu sein. Selbst die Hasstiraden seines Pastors gegen das weiße Establishment beschädigten ihn nicht. Doch nun, nach einem halben Jahr im Amt, ist Obama angreifbar geworden. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Arbeitslosigkeit steigt - trotz des 787 Milliarden Dollar teuren Konjunkturpakets seiner Regierung.

Und die Wall Street? Sie feiert wieder. Allein die Investmentbank Goldman Sachs hat in der ersten Jahreshälfte mehr als elf Milliarden Dollar für Bonuszahlungen zurückgelegt, keine zehn Monate, nachdem sie von der Notenbank und dem Finanzministerium vor dem Kollaps gerettet werden musste. Dem Rest des Landes stößt die Champagnerlaune in Manhattan übel auf.

Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr über die Strategie der Republikaner.

Die Stimmung könnte kippen, sagen Meinungsforscher. Obamas Rückhalt in der Bevölkerung bröckelt. Auf dem Minenfeld der Gesundheitspolitik wird sich entscheiden, ob Obama ein großer Präsident wird.

Nun sieht es die amerikanische Verfassung zum Verdruss des Weißen Hauses vor, dass nicht der Präsident dem Kongress das Gesetz vorlegt, sondern umgekehrt.

Und so rangeln Abgeordnete und Senatoren seit Wochen darüber, wo gespart und wer besteuert werden soll, anstatt Obamas Masterplan abzunicken. Konservative Demokraten wollen die Beschlüsse ihrer liberalen Parteifreunde nicht mittragen. Die Republikaner wittern ihre Chance.

Das ist der Grund, warum Obama an diesem Abend sein Volk fixiert, gelassen und doch bestimmt. Die Wähler sollen den bockigen Senatoren und Abgeordneten Beine machen. Das Problem: Viele Amerikaner fürchten, dass eine Gesundheitsreform ihnen nichts anderes bringt als hohe Steuern. 90 Prozent derer, die bei Wahlen ihre Stimme abgeben, sind bereits versichert.

"Der Stillstand ist der Standardmodus"

Mit der Angst vor neuen Belastungen spielen die Republikaner. Obama versuchen sie als politischen Steuersünder zu definieren, als einen typischen Liberalen amerikanischer Prägung, der das Land mit mehr Bürokratie und Abgaben stranguliert. So will die Opposition die Revolution of '94 wiederholen und Obama mit dem Fluch des frühen Scheiterns belegen.

Und daraus wiederum erklärt sich die Strategie, die der Präsident an diesem Abend wählt. Er will der Mittelschicht klarmachen, dass es ihr Geld ist, das im Status quo verschwendet wird. Es ist ein Konter zur besten Sendezeit. Die Pläne des Weißen Hauses sind nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich ehrgeizig. Im August soll die Reform stehen.

Gestern Abend begründete Obama sein Drängen. "Ohne Deadlines", sagt er, "wird nichts erreicht in dieser Stadt. Der Stillstand ist der Standardmodus."

Ein Präsident, der das Wörtchen "Wandel" zur obersten Handlungsmaxime erklärt hat, kann das nicht akzeptieren. Und so wird Obama seine Werbetour fortsetzen. Noch heute will er in Cleveland eine Musterklinik besuchen, in der Patienten bekommen, was sie brauchen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ganz so, wie der Präsident es wünscht.

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