Es kann sehr anstrengend sein im NSU-Prozess. Am Dienstag, dem mittlerweile 168. Verhandlungstag, haben die Richter stundenlang kriminaltechnische Gutachten verlesen. Da ging es um diverse Fingerabdruck-Spuren der Angeklagten sowie der toten Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die Richter spulten zahlreiche Asservatennummern herunter . Im Publikum lichteten sich irgendwann die Reihen, aber man darf sich nicht täuschen: Ausnahmsweise kam das Gericht an diesem Tag wirklich mal zügig voran.
Während viele Zeugen, vor allem die wortkargen und renitenten, die Beweisaufnahme kaum voranbringen, sind die ins Verfahren eingeführten Gutachten von großer Bedeutung für das spätere Urteil. Viele Beweisstücke sind betroffen: Mietverträge für die konspirativen Wohnungen zum Beispiel, die DVDs mit den NSU-Bekennervideos oder das Zeitungsarchiv, das die Terroristen über ihre Taten anlegten.
Zeitungsausschnitt: "Ich habe den Täter gesehen"
An zwei Zeitungsausschnitten wurden Zschäpes Fingerabdrücke gefunden - aus Sicht der Anklage eines der wichtigsten Indizien für ihre mutmaßliche Mittäterschaft an der Mord- und Anschlagsserie des NSU. Und so geht es nun unter anderem um Asservat 2.12.377.10 (solche Zahlenkolonnen werden im Gerichtssaal feinsäuberlich vorgetragen; verliest sich ein Richter, wird er korrigiert). Hinter der Nummer verbirgt sich ein Artikel der Zeitung Express vom 11. Juni 2004 über den Nagelbombenanschlag in Köln. "Ich habe den Täter gesehen", lautete die Überschrift. "Er stellte sein Rad am Laden ab." - Die Terroristen hatten eine Bombe auf einem Fahrrad deponiert und aus sicherer Entfernung gezündet. Dieser Anschlag muss im NSU-Prozess erst noch behandelt werden. Dies wird im kommenden Jahr der Fall sein.
Noch auf einem weiteren Zeitungsausschnitt wurden Zschäpes Fingerabdrücke sichergestellt: am oberen Rand eines Artikels aus der Münchner Zeitung tz. Der Beitrag stammt vom 30. August 2001 und behandelte den Mord an dem Münchner Ladenbesitzer Habil Kılıç. Zschäpes Verteidigung regte an, die Originale der in der ausgebrannten Wohnung in Zwickau gefundenen Zeitungsausschnitte vorzulegen, um sich ein genaues Bild von den Funden machen zu können.
Ebenfalls vorgelesen wurden Gutachten, die den Angeklagten André E. belasten. Sie legen nicht nur nahe, dass E. intensiven Kontakt zum untergetauchten Trio gehabt hat, sondern unter anderem durch eine Wohnungsanmietung das Leben im Untergrund unterstützt hat. Für die Ermittler ist E. die engste Bezugsperson der NSU-Mitglieder gewesen. Er lebt in Zwickau und befindet sich, anders als Zschäpe und der Mitangeklagte Ralf Wohlleben, nicht in Untersuchungshaft. Wie diese macht André E. zu den Vorwürfen keine Angaben. Er schweigt beharrlich vor Gericht.
Wohlleben seit drei Jahren in Untersuchungshaft
Wohllebens Verteidigung monierte zuletzt, dass das Gericht sich mit Zeugen aufgehalten habe, die das Gericht nicht weitergebracht hätten. Der Prozess würde sich auf "Nebenkriegsschauplätze" verlagern, dies sei angesichts der dreijährigen Untersuchungshaft des Mandanten nicht länger tragbar. Weder die dem NSU zugeschriebenen Raubüberfälle noch der Nagelbombenanschlag in Köln seien bisher überhaupt "anverhandelt" worden.
Das sogenannte Beschleunigungsgebot, das eine zügige Verhandlungsführung verlangt, werde nicht ausreichend beachtet. Wohllebens Anwälte beantragten deshalb vorige Woche, ihren Mandanten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Ein ähnlicher Antrag war allerdings schon einmal gescheitert.
Damals verwiesen die Richter unter anderem auf die Komplexität des zu verhandelnden Stoffes. Und auch wenn das Verlesen zahlreicher Gutachten ermüdend ist - am Dienstag hat das Gericht damit ein paar große Schritte nach vorn gemacht in diesem langen, scheinbar nicht enden wollenden Verfahren.