NSU-Prozess:"Mittäterin" mit klaren Aufgaben

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  • Im NSU-Prozess sieht die Bundesanwaltschaft die Vorwürfe gegen die Hauptangeklagte Zschäpe "in allen wesentlichen Punkten bestätigt". Diese sei "Mittäterin" bei den zehn Morden des NSU.
  • Die Opfer des NSU seien als "willkürlich herausgegriffene Angehörige ihrer Bevölkerungsgruppe" getötet worden.
  • Gerüchten um ein größeres rechtsextremes Netzwerk im Hintergrund tritt Ankläger Diemer entgegen: "Die überlebenden Mittäter und Unterstützer des NSU sitzen hier auf den Bänken."

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Beate Zschäpe lauscht auf der Anklagebank nahezu regungslos dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft. Die 42-jährige mutmaßliche Rechtsterroristin wirkt über Minuten wie erstarrt und noch blasser als ohnehin schon.

Die Bundesanwaltschaft sieht Zschäpe zusammen mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt als Gründerin der rechtsterroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und als Mittäterin bei zehn vorwiegend rassistisch motivierten Morden, zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen.

Wohl erst kommende Woche wird die Bundesanwaltschaft verraten, welches Strafmaß sie für Zschäpe fordert. Aber schon nach wenigen Minuten gibt es wenig Zweifel daran, dass sie für Zschäpe eine lebenslange Freiheitsstrafe, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und möglicherweise sogar die Anordnung von Sicherungsverwahrung beantragen wird.

SZ-Magazin
:Die NSU-Protokolle

Das SZ-Magazin hat die ersten vier Jahre des NSU-Prozesses dokumentiert. Jedes Jahr ist ein Film dazu entstanden.

Im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München haben an diesem Dienstag nach mehr als vier Jahren Verhandlung die Plädoyers begonnen. Anders als erwartet stellen Zschäpe und der Mitangeklagte Ralf Wohlleben an diesem 375. Verhandlungstag keinen weiteren Befangenheitsantrag gegen die Richter. Damit haben sie sogar die Bundesanwaltschaft überrascht.

Als Richter Manfred Götzl Bundesanwalt Herbert Diemer das Wort erteilt, trifft es diesen unvorbereitet. Der 63-Jährige bittet um eine kurze Unterbrechung. Er müsse seine Notizen erst noch holen, sagt Diemer. Lachen im Saal. Um kurz nach zwölf Uhr tritt er schließlich ans Rednerpult.

"Das Motiv für all diese Verbrechen war die rechtsextreme Ideologie, der Wahn von einem ausländerfreien Land", trägt Bundesanwalt Diemer zu Beginn des Plädoyers vor. Die mutmaßlichen NSU-Terroristen hätten "das Land in seinen Grundfesten" erschüttern wollen, mit dem Ziel, "einem widerwärtigen Nazi-Regime den Boden zu bereiten". Die umfangreiche Beweisaufnahme habe die Anklagevorwürfe "in allen wesentlichen Punkten bestätigt", auch das sagt Diemer.

Warum ihr Vater, ihr Bruder, ihr Mann?

Der Bundesanwalt nennt alle zehn Ermordeten bei ihrem Namen und ihrem Alter. Er nennt Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und die Polizistin Michèle Kiesewetter. Diemer sagt, fast alle "wurden von Beate Zschäpe und ihren beiden Komplizen hingerichtet, weil sie ausländischer Herkunft waren und in den Augen ihrer Mörder in Deutschland nichts zu suchen haben".

Er äußert sich auch zu der Frage, die die Familien der Opfer noch immer am meisten quält: Warum wurde ihr Vater, ihr Bruder, ihr Mann ermordet? Diemer sagt: Alle Opfer seien von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt "als willkürlich herausgegriffene Angehörige ihrer Bevölkerungsgruppe" getötet worden. Menschen türkischer Herkunft sollten verunsichert und dazu gebracht werden, Deutschland zu verlassen, so Diemer. Aus diesem Grund seien auch die Bomben in der Kölner Probsteigasse und der Keupstraße explodiert.

Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hätten auch die Polizistin Kiesewetter nicht in ihrer Individualität gesehen, sondern "als Repräsentantin der von den Extremisten verhassten Polizei". Auch in diesem Fall sei die Opferauswahl "willkürlich und ohne Bezug auf die Person selbst" geschehen.

Diemer betont, dass die Beweisaufnahme keinerlei Anhaltspunkte für strafrechtliche Verstrickungen staatlicher Stellen in die Taten ergeben habe. Derartige Spekulationen bezeichnet Diemer als "Fliegengesumme in den Ohren", das die Opfer und die gesamte Bevölkerung gleichermaßen verunsichere. Es seien Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gewesen, die alle Straftaten des NSU begangen haben, sagt der Bundesanwalt, "unterstützt von den vier Personen hier im Saal".

Diemer bemüht sich, Spekulationen, Geraune, Gerüchte über mutmaßliche noch unbekannte Strippenzieher im Hintergrund zu beenden: "Die überlebenden Mittäter und Unterstützer des NSU sitzen hier auf den Bänken, sie heißen: Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, André E. und Carsten S."

"Zschäpe fungierte als Tarnkappe"

Im Anschluss tritt Oberstaatsanwältin Anette Greger ans Rednerpult, die 51-Jährige ist die Zschäpe-Expertin bei der Bundesanwaltschaft. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bezeichnet Greger zu Beginn ihres Vortrags als "zwei erfolglose Narzissten" und "die Tochter zweier Zahnärzte", die bald 14 Jahre das Land terrorisiert hätten. Zschäpe sei gleichberechtigtes Mitglied des Trios gewesen. Der gemeinsame Plan von Mundlos, Böhnhardt und auch Zschäpe sei von Anfang an gewesen, möglichst viele Morde zu begehen, um türkischstämmige Bürger aus dem Land zu vertreiben, so Greger.

Die Aufgaben seien klar verteilt gewesen. Mundlos und Böhnhardt kundschafteten die Anschlagziele aus und verübten die Anschläge und "die Angeklagte Zschäpe fungierte als Tarnkappe". Greger: "Zschäpe sicherte den Unterschlupf der Gruppe und gewährleistete die bestmögliche und ungestörte Begehung der Anschläge."

Sie habe den Nachbarn bei Bedarf Geschichten aufgetischt, mit denen sie die langen Abwesenheiten der Männer erklärte. Zschäpe dokumentierte nach Ansicht der Bundesanwaltschaft aber auch die Taten und war aktiv an der Herstellung des NSU-Bekennerfilms, des sogenannten Paulchen-Panther-Videos beteiligt.

Zschäpes eigenes Bemühen, von sich das Bild einer schwachen, emotional abhängigen und körperlich misshandelten Frau unter zwei brutalen Mördern zu zeichnen, überzeugt Greger nicht. Zschäpes von ihren Verteidigern vorformulierten und vorgetragenen Erklärungen wertet die Bundesanwaltschaft als gescheiterte Versuche der Exkulpation, der "Ent-Schuldigung".

Am Dienstagnachmittag sollte die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer fortsetzen. Bundesanwalt Diemer hatte bereits angekündigt, dass der Schlussvortrag insgesamt etwa 22 Stunden dauern werde, verteilt auf vier bis fünf Tage.

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