Im NSU-Prozess haben die Verteidiger des früheren NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben mit ihren Plädoyers begonnen - und sie holten sogleich zum Rundumschlag gegen Gericht, Ankläger und Staat aus. Der Prozess sei kein faires Verfahren, die Richter seien befangen und weder der Senat noch die Bundesanwaltschaft an Aufklärung interessiert, sagte Verteidigerin Nicole Schneiders am Dienstag vor dem Oberlandesgericht (OLG) München. Mit einem rechtsstaatlichen Verfahren habe all dies nichts zu tun. Wohlleben sei "unschuldig". Er sei vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord in neun Fällen freizusprechen. Auch ihr Kollege Olaf Klemke forderte Freispruch für den Mann, den die Bundesanwaltschaft als "steuernde Zentralfigur" der Unterstützerszene für den NSU sieht.
Die Anwälte Wohllebens sind - anders als die übrigen Verteidiger im NSU-Verfahren - ausgewiesene Rechte. Schneiders hat mit ihrem Mandanten Wohlleben einst in Jena die NPD aufgebaut.
Schneiders griff das Gericht frontal an. "Herr Wohlleben, der böse Nazi, soll das Bauernopfer werden, weil man Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht mehr einem Strafprozess zuführen kann." Deswegen entlasse das Gericht Wohlleben auch seit bald sechseinhalb Jahren nicht aus der Untersuchungshaft. Es gehe dem Senat nicht um Aufklärung des NSU-Komplexes, sondern allein darum, ein politisch erwünschtes Urteil zu fällen. "Sie, hoher Senat, haben sich aktiv an der Verhinderung der Aufklärung des NSU-Komplexes beteiligt", sagte Schneiders: "Dies müssen Sie mit Ihrem Gewissen vereinbaren."
Schneiders griff auch gängige Verschwörungstheorien auf. Die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex sei nicht geklärt. Möglicherweise seien ja Beate Zschäpe oder Uwe Böhnhardt selbst Informanten des Geheimdiensts gewesen, sagte sie. Belege für diese Spekulation hat der Prozess nicht ergeben, auch Schneiders hat keine.
Ihr Kollege Klemke verschärfte den Ton noch und bemühte ausgiebig das Repertoire der Rechten. Er sprach von "Politikerdarstellern der herrschenden Kaste", einem "Schuldkult" der Deutschen, warf der Bundesanwaltschaft "offen zur Schau gestellte Arroganz" vor.
Zwölf Jahre fordern die Ankläger. "Wir sind ja schließlich in Bayern", spottet der Verteidiger
Der Angeklagte Wohlleben soll dabei geholfen haben, dem NSU die Tatwaffe für neun der zehn Morde zu beschaffen. Wohlleben hat laut Anklage genau gewusst, wie gefährlich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt waren, und er habe es auch mindestens für möglich gehalten, dass sie mit der Waffe Menschen töten werden. Zwölf Jahre Haft hat die Anklage für ihn gefordert. "Darunter werden Sie es wohl nicht machen", spottete Klemke Richtung Senat: "Wir sind ja schließlich in Bayern."
Er und Schneiders widersprachen den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft vehement. Wohlleben, einst ein führender Kopf der Neonazi-Szene in Thüringen, habe nie auch nur geahnt, dass Mundlos und Böhnhardt morden würden. Ihr Mandant sei auch nur am Rande an der Beschaffung einer Waffe beteiligt gewesen. Und ob es sich dabei tatsächlich um die Mordwaffe handelte, sei mehr als fraglich. Die Identifizierung der Tatwaffe war in der Tat eine der Schwachstellen in diesem Prozess. Klemke nannte sie eine "Farce". Zum Gericht sagte er: "Wir können Sie nicht an der Verurteilung Ralf Wohllebens hindern, wir können nur dafür sorgen, dass Sie dabei ein möglichst schlechtes Gewissen haben." Er griff die Richter persönlich an, die keine Skrupel hätten. "Ausgeprägte Skrupel ebnen nicht den Weg auf einen Richterstuhl im OLG."
Schneiders sagte, das Gericht handele nach dem Motto: "Bloß nicht aufklären, es könnte ja die Wahrheit ans Licht kommen." Wohlleben sei kein Ausländerhasser gewesen, sondern ein "Realo". Nicht er und seine Verteidiger, sondern nahezu alle anderen Prozessbeteiligten hätten das Verfahren für politische Zwecke missbraucht. Ihr Antrag, einen Demografie-Experten vor Gericht den angeblichen "Volkstod" der Deutschen durch Einwanderung erklären zu lassen, sei von manchen einfach böswillig als Neonazi-Propaganda missverstanden worden. Am Mittwoch soll das Plädoyer der Anwälte fortgesetzt werden.