Erklärung der Hauptangeklagten:NSU-Prozess: Beate Zschäpe will sprechen - und zwar über alles

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Beate Zschäpe im November 2015 im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München (Foto: dpa)
  • Nachdem sie 247 Verhandlungstage geschwiegen hat, will die Hauptangeklagte im NSU-Prozess nun reden.
  • Beate Zschäpe werde sich zu allen Vorwürfen äußern, kündigt ihr Anwalt Mathias Grasel an.
  • Schon am Dienstag oder am Mittwoch werde er Zschäpes 50-seitige Erklärung verlesen. Auch Ralf Wohlleben, der Mitangeklagte, wird sein Schweigen brechen.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger, München

Zschäpe wird ausdrücklich zu den zehn Morden Stellung nehmen

Sie hat 247 Tage lang geschwiegen, kein einziges Wort kam über ihre Lippen. Als die Angehörigen der Mordopfer die Hauptangeklagte im NSU-Prozess anflehten zu sprechen, hat sie nur die Augen niedergeschlagen und den Mund zusammengepresst. Selbst als ein Vater im Gericht vor ihr auf dem Boden lag und zeigte, wie er seinen ermordeten Sohn in seinem Blut gefunden hatte, verzog sie keine Miene. Nun will Beate Zschäpe sprechen. Und zwar über alles.

Nicht nur über die schwere Kindheit, die wilde, rechtsradikale Jugend und ihre beiden Männer. Sondern auch über die Taten, die ihr vorgeworfen werden. Sie werde sich nicht nur zur Brandstiftung im Unterschlupf des NSU in Zwickau äußern, sondern auch ausdrücklich zu den zehn Morden Stellung nehmen, die ihr und ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vorgeworfen werden, sagt ihr Münchner Verteidiger Mathias Grasel. "Die Morde werden nicht nur in ein, zwei Sätzen abgehandelt", kündigt Grasel an, "es wird in der Erklärung genau dargestellt, was sie von den Aktionen gewusst hat und was nicht."

Zschäpes Anwalt schweigt darüber, ob sie sich auch entschuldigt

Darauf hoffen die Angehörigen der zehn Mordopfer, die vor allem wissen wollen, warum ausgerechnet ihr Vater, Bruder, Ehemann sterben musste. Dem NSU werden neun Morde an Männern mit Migrationshintergrund und einer an einer Polizistin zur Last gelegt, dazu 15 Banküberfälle und zwei Sprengstoffattentate. Zschäpe ist als Mittäterin bei allen Taten angeklagt. Ihr droht lebenslange Haft. Grasel sagte, er habe mit Zschäpe auch darüber geredet, ob sie vor Gericht Mitleid mit den Opfern zeigen soll und ob sie sich entschuldigt für die Taten. Ob sie das allerdings wirklich tut, darüber schweigt ihr Verteidiger noch.

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Dass die Angeklagten nun auf einmal reden wollen, hat einen einfachen Grund: Ihre Chancen sind zusehends schlechter geworden.

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Doch offensichtlich ist mit einer umfangreichen Stellungnahme der Angeklagten zu rechnen, nicht nur eine Erklärung zu der Brandstiftung in Zwickau nach dem Auffliegen des NSU, die ihr ohne wirklichen Zweifel zuzurechnen ist. Seine Mandantin werde ausführlich von ihrer Kindheit bis zu ihrer Verhaftung am 8. November 2011 berichten, sagte Grasel in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung am Tag vor der erwarteten Aussage. Rund eineinhalb Stunden lang wird das Verlesen der Erklärung dauern. Grasel wird die rund 50 Seiten im Namen der Angeklagten verlesen. Es ist nicht vorgesehen, dass sie selbst das Wort ergreift. Aber: "Alles, was in dieser Erklärung steht, steht auf ihren Wunsch da drin. Die Worte stammen aus ihrem Mund und aus meiner Feder", sagt Grasel. Zschäpe selbst sei erleichtert, dass sie sich nun erklären könne. Ihre alten Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm hatten ihr davon immer abgeraten und eine Teilaussage für zu risikoreich gehalten.

In der avisierten Erklärung stecken viele Stunden Arbeit. Seit dem Sommer haben Anwalt Grasel, sein Kollege Hermann Borchert und Beate Zschäpe in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim die Erklärung erarbeitet. An mehr als 30 Terminen habe er Zschäpe besucht, um mit ihr das Papier zu bearbeiten, manchmal am Vormittag und am Nachmittag - wie es die Besuchszeiten zuließen. Über den Inhalt der Aussage sei man sich zu 99 Prozent einig geworden. Zschäpe habe vor allem dann Probleme gehabt, wenn es um interne Familienangelegenheiten mit ihrer Mutter ging.

Spätestens am Mittwoch, möglicherweise schon Dienstag

Spätestens am Mittwoch ist die Erklärung zu erwarten, möglicherweise aber auch schon am Dienstag - wenn der Vorsitzende Richter Manfred Götzl das Wort für die Erklärung erteilt. Den Mittwoch und Donnerstag hat das Gericht von Zeugen freigehalten, die beiden Tage stehen Zschäpe voll zur Verfügung.

Dann wird man auch sehen, wie weit Zschäpe mit ihrer Aussage geht: Die Angeklagte hatte angekündigt, auf die Fragen des Gerichts zu antworten, auf die der Vertreter der Opferfamilien aber nicht. Möglicherweise wird Zschäpe auch auf Fragen des psychiatrischen Gutachters und der Bundesanwaltschaft antworten sowie auf Fragen anderer Angeklagter. Wie das dann genau gehen soll, ist schwierig. Dem Verteidiger schwebt ein Verfahren vor, bei dem die Fragen an Zschäpe gesammelt und ihm schriftlich übermittelt werden, so dass er über die Weihnachtspause mit ihr die Antworten erarbeiten kann - was eine weitere Verzögerung des Verfahrens bedeutet.

Auch der Mitangeklagte Wohlleben wird sprechen

Nach der Aussage von Zschäpe will dann auch noch der Mitangeklagte Ralf Wohlleben sprechen - auch er schweigt von Anbeginn des Prozesses. Dem früheren NPD-Funktionär Wohlleben wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen, er hatte die Waffe für neun Morde in Auftrag gegeben und den NSU im Untergrund unterstützt. Er hatte vergangene Woche auf einer NPD-Seite angekündigt, er wolle nun reden, bleibe aber bei seinen politischen Zielen. Zschäpe hatte immer wieder Sympathie für die Verteidigung von Wohlleben erkennen lassen, die als rechte Szeneanwälte gelten. Es soll jedoch offenbar zu keiner Zusammenarbeit zwischen den Verteidigungen von Wohlleben und Zschäpe kommen. "Es gibt zwei getrennte Einlassungen", sagt Grasel. "Die Wohlleben-Verteidiger kennen unsere nicht und wir nicht ihre. Das ist kein Gesamtkunstwerk."

Ob von Zschäpes Aussage wirklich neue Erkenntnisse zu erwarten sind, bezweifeln viele Prozessbeteiligte. Aber Einblick in ihre Persönlichkeit könnte sie damit geben.

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